Siemens:Siemens tut ganzen Landstrichen Gewalt an

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Der Konzern will Werke in wirtschaftlich schwachen Regionen schließen - trotz Milliardengewinnen. Wer will, dass die Menschen am Kapitalismus verzweifeln, der muss es so anstellen wie Kaeser & Co.

Kommentar von Detlef Esslinger

Natürlich ist an der Diagnose etwas dran. Niemand bezweifelt, dass die Energiebranche im Umbruch ist. Gasturbinen, Motoren und Generatoren, die keiner mehr braucht, muss auch keiner mehr herstellen. Derzeit gibt es hier auf der Welt zu viele Anbieter und zu wenige Abnehmer, darüber hinaus machen Billiganbieter den Etablierten Konkurrenz. Folglich greifen die ewigen, unbarmherzigen Gesetze des Marktes: Die Preise fallen, das Geschäft wird unprofitabel. Kein Manager von Verstand nimmt so etwas einfach hin. Aber was reitet die Manager von Siemens, mit diesem Umbruch so umzugehen, wie sie es jetzt tun?

Konzernchef Joe Kaeser und Arbeitsdirektorin Janina Kugel können in diesem Fall über vermeintliche Zwänge so lange referieren, wie sie wollen. Ihr Publikum wird sich weigern, ihnen zu folgen. Denn sie haben in diesem Monat nicht nur verkündet, 6900 Stellen zu streichen sowie die Standorte Görlitz und Leipzig zu schließen. Sondern sie legten auch - für den gesamten Konzern - diese Zahlen vor: 6,2 Milliarden Euro Gewinn, ein Plus von elf Prozent. Pro Aktie soll die Dividende um zehn Cent erhöht werden, auf 3,70 Euro. Mit anderen Worten: Siemens geht es glänzend. Und da wollen sie einem weismachen, keine anderen Optionen zu haben, als Standorte plattzumachen? Nur weil es dort - in dem Fall übrigens ohne Verschulden des Managements - schlecht läuft?

Wenn man will, dass die Leute endgültig an Marktwirtschaft, Kapitalismus und Globalisierung verzweifeln, dann muss man es so anstellen wie Kaeser & Co. Sie nähren die schlimmsten Klischees über Gierschlünde, denen der Börsenkurs (oder auch die eigene Tantieme) nie hoch genug sein kann. Nach dem Motto: Was juckt mich Görlitz, ich hab' morgen einen Termin mit Investoren.

Zur Ehrenrettung mag man anführen, dass Siemens ja nicht 6900 Mitarbeiter, die Hälfte von ihnen in Deutschland, entlassen will. Sondern die Stellen sollen nach und nach abgebaut werden. Das bedeutet: Wenn jemand die Firma verlässt, wird er nicht nachbesetzt; das bedeutet auch, dass Arbeitnehmern andere Jobs im Konzern angeboten werden sollen. Derlei meinen Manager immer, wenn sie einen Abbau "sozialverträglich" nennen.

Aber sozialverträglich handelt nicht bereits der, der betriebsbedingte Kündigungen vermeiden will. Sozialverträglich heißt auch, an das Schicksal einer Gegend zu denken: Wer einer Stadt wie Görlitz 720 Stellen nimmt, wer 640 Jobs in Mülheim an der Ruhr streicht oder für den Standort Erfurt einen Verkauf "prüft" - wer dort, wo es zu Siemens nur wenige bis gar keine Alternativen gibt, so etwas tut, der tut diesen Gegenden Gewalt an. Was wird aus den Lieferanten von Siemens dort? Was wird aus dem Bäcker, dessen bisherige Kunden ins ohnehin schon übervolle München ziehen, wo Siemens noch eine schicke Stelle frei hat und wo die Arbeitnehmer dann nicht vorhandene Wohnungen suchen, während zugleich solche in Görlitz leer stehen und leer bleiben? Wie gut, dass die deutsche Volkswirtschaft überwiegend nicht von Konzernen, sondern vom Mittelstand getragen wird; von Inhabern, die ihren Monteur Meyer kennen, vielleicht sogar dessen Kinder, und für die der Mann nicht bloß eine Personalnummer im hintersten Sachsen ist.

Das vorhandene Personal weiterbilden

Wer sechs Milliarden Euro Gewinn macht und die Dividende erhöht, dem muss mehr einfallen, als einfach Werke zu schließen. Der muss zumindest über die Fristen bis zur Schließung verhandeln, damit er die Beschäftigten weiterbilden kann. Der darf sehr gerne Investitionen, die ohnehin geplant sind, vielleicht aus anderen Geschäftsfeldern, verlagern in die gefährdeten Städte. Auf eine solche Idee kamen andere Konzerne in vergleichbaren Lagen. Man könnte das vorhandene Personal für die neue Fertigung ausbilden. Ein Turbinenwerk muss ja nicht immer ein Turbinenwerk bleiben.

In Berlin, wo ebenfalls 300 Stellen gestrichen werden sollen, haben Beschäftigte am Donnerstag mittels Autokorso protestiert. Niemand möge glauben, eine solche Aktion drücke letztlich bloß Ohnmacht aus. Wenn IG-Metall-Chef Jörg Hofmann verspricht, die Betroffenen ganz bestimmt nicht ihrem Schicksal zu überlassen, dürfen diese ihn demnächst hoffentlich beim Wort nehmen. Zur Not braucht er ja nur kräftige Forderungen zu stellen, zum Beispiel zu Qualifizierung und Jobsicherung - also Dinge verlangen, die bisher nicht im Tarifvertrag geregelt sind. Und schon wäre er aus der Friedenspflicht heraus, schon könnte er zu Streiks aufrufen. Im Siemens-Vorstand gibt es zu viele Leute, die sich vom uralten Prinzip der Marktwirtschaft, dem der schöpferischen Zerstörung, nur den Teil mit der Zerstörung gemerkt haben. Sie brauchen eine Ansprache, die sie verstehen.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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