Süddeutsche Zeitung

Siemens:Siemens-Turbinen auf der Krim sind kein geschmuggelter Auspuff

Der Konzern muss gar nicht so überrascht tun, was die aufgetauchten Gasturbinen betrifft: Der ganze Vorgang war ein Sanktions-Verstoß mit Ansage.

Kommentar von Julian Hans

Es waren gerade zehn Tage vergangen, seit Wladimir Putin die Annexion der Krim in einer pompösen Feierstunde im Kreml besiegelt hatte, da saß Joe Kaeser mit dem russischen Präsidenten in dessen Moskauer Residenz zusammen. Als "Besuch bei einem Kunden" wollte der Siemens-Chef das Treffen gedeutet wissen, so als habe Wirtschaft rein gar nichts mit Politik zu tun. Von kurzfristigen Turbulenzen lasse man sich nicht bei der langfristigen Planung leiten. Mit "kurzfristigen Turbulenzen" war die erste gewaltsame Landnahme in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gemeint.

Drei Jahre sind seitdem vergangen, aus langfristiger Planung wurde Konkretes. Zwei Elektrizitätswerke wurden auf der Krim gebaut. Demnächst werden dort Turbinen von Siemens montiert. Zwei sind schon im Hafen von Sewastopol gelandet, zwei weitere werden noch erwartet - ein klarer Bruch der Sanktionen. Die Europäische Union, die USA und weitere Staaten haben 2014 Geschäfte auf der annektierten Halbinsel verboten, weil sie auf Gewalt nicht mit Gewalt antworten wollten und Moskau doch einen Preis zahlen sollte für den Völkerrechtsbruch.

Die deutsche Wirtschaft hat diese Entscheidung mitgetragen. Zwar würden deutsche Unternehmen darunter leiden, erklärte der damalige BDI-Präsident Ulrich Grillo, doch der Schaden werde "mehr als aufgehoben, wenn es gelingt, dem Völkerrecht in Europa und Rechtsgrundsätzen generell Geltung zu verschaffen". Rechtssicherheit ist die Voraussetzung für eine prosperierende Wirtschaft.

Eine kleine Gruppe von Unternehmen war anderer Meinung. An erster Stelle Energiekonzerne, die in Russland engagiert sind, aber auch Siemens. Viele agieren aus der Erfahrung, dass persönliche Kontakte in Russland mehr zählen als formelle Regeln. Sie mahnen daher, dass man diese Kontakte nicht beschädigen dürfe. So taten das auch Joe Kaeser und sein Russland-Chef Dietrich Möller. In zahlreichen Interviews betonten sie, wie schädlich die Sanktionen seien. Um dann zu beteuern, man respektiere selbstverständlich das Primat der Politik und halte sich streng an alle Auflagen. Heute drängt sich der Verdacht auf, dass mehr dahinter steckte als nur der Wunsch nach einer anderen Politik.

Sehenden Auges hat Siemens Verträge geschlossen, von denen die Verantwortlichen wissen mussten, dass sie das Unternehmen in Konflikt mit den Sanktionsauflagen bringen würden. Offensichtlich in der Hoffnung, es handle sich wirklich nur um "kurzfristige Turbulenzen". Doch je klarer wurde, dass das eintritt, was alle vorhergesagt hatten, desto mehr wuchs die Nervosität im Konzern.

2015 beschrieben Zeitungen in der Ukraine, in Russland und auch in Deutschland bereits detailliert das Schema, wie die Anlagen an ihre eigentlichen Bestimmungsorte in Sewastopol und Simferopol gelangen werden. Die Baustellen dort machten rasche Fortschritte, während im südrussischen Taman, das im Vertrag als Bestimmungsort genannt war, der Acker unberührt blieb. Auch die technische Beschreibung der Projekte war auf Siemens-Anlagen zugeschnitten. Wer nicht Augen und Ohren fest verschloss, musste das erkennen. Aber Siemens wiederholte unerschütterlich, die Verträge seien mit den Ausfuhrbestimmungen konform.

Siemens muss gar nicht so überrascht tun

Nun, da alle Warnungen sich bewahrheitet haben und Fakten geschaffen sind, gibt sich Siemens überrascht. Die Russen seien vertragsbrüchig geworden. Man will klagen. 160 Jahre Erfahrung in Russland sollten ausreichen, um zu wissen, welche Aussichten so ein Prozess hat.

Siemens ist nicht irgendein Konzern. Der Name ist ein Synonym für deutsche Ingenieurskunst und die deutsche Wirtschaft. Turbinen auf der Krim sind nicht irgendein geschmuggelter Auspuff. Die Elektrizitätswerke dienen dazu, die Halbinsel von der Energieversorgung vom ukrainischen Festland unabhängig zu machen und die Annexion so zu zementieren.

Bisher haben alle EU-Staaten jede Verlängerung der Sanktionen mitgetragen, wenn auch mit vernehmlichem Murren. Wenn ein deutscher Dax-Konzern so einfach einen Bogen um die Verbote machen kann und keine Konsequenzen folgen, wird es die Kanzlerin künftig schwer haben, Solidarität bei den anderen Mitgliedern einzufordern. Wenn Kaeser schon auf die lange Tradition abhebt, dann sollte er sich auch der Verantwortung bewusst sein, die damit verbunden ist. Im März 2014 warb er dafür, den fundamentalen Regelbruch durch die Krim-Annexion schnell zu vergessen. Jetzt tut er überrascht, dass russische Staatsunternehmen Verträge gebrochen haben. Ulrich Grillo könnte ihm erklären, wie beides zusammenhängt.

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SZ vom 13.07.2017/vit
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