Industrie:Siemens macht Rekordgewinn – und will dennoch Tausende Stellen abbauen

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Siemens-Chef Roland Busch (rechts) bei der Bilanzpressekonferenz 2024. Neben ihm Finanzvorstand Ralf Peter Thomas. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Ausgerechnet im Zukunftsgeschäft mit digitalen Dienstleistungen könnten bei dem Münchner Konzern bis zu 5000 Jobs wegfallen. Was dahinter steckt.

Von Thomas Fromm

Gewinn so hoch wie noch nie, Aktienkurs steil nach oben, und trotzdem ein ziemlich robuster Stellenabbau in Planung: Um die vertrackt bis bizarre Lage deutscher Unternehmen zu verstehen, lohnt sich ein Unternehmen ganz besonders als Anschauungsobjekt: Siemens. Der Konzern fuhr im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Rekordgewinn von neun Milliarden Euro ein, die Dividende wird um 50 Cent auf 5,20 Euro je Aktie aufgestockt. Die Aktie stieg zwischenzeitlich um acht Prozent auf rund 192 Euro – und jetzt stehen bis zu 5000 Jobs bei dem Münchner Technologiekonzern auf der Kippe. Wie das alles sein kann? Es läuft. Und es läuft auch wieder nicht, weil die Welt so schwer vorhersehbar ist und das Geschäft nicht so leicht kalkulierbar.

Siemens steht damit stellvertretend für die Lage, in der sich viele europäische Unternehmen gerade befinden: Überall Wirtschaftskrisen, geopolitische Spannungen und Kriege. So werden allgemeine Krisen und die Krisen der anderen schnell zur eigenen Krise.

Exemplarisch dafür ist bei Siemens ausgerechnet jenes Geschäftsfeld, das im Zentrum steht, seitdem man sich in den vergangenen Jahren von den Sparten Medizintechnik („Siemens Healthineers“) und der Energieinfrastruktur („Siemens Energy“) getrennt hat: das eigentliche Kerngeschäft mit der Automatisierung von Industrieprozessen, die Sparte „Digital Industries (DI)“. Die Lager bei Kunden und Zwischenhändlern, vor allem auch in China, sind immer voll. Es wird weniger in die produzierenden Fabriken geordert, die Industrieproduktion läuft eher verhalten. Wer wissen will, wie die Stimmung in der deutschen Industrie ist, braucht sich ja nur mal bei den Automobilherstellern umzuschauen. Bei Volkswagen, Mercedes, Audi, BMW, aber auch beim internationalen Viel-Marken-Konglomerat Stellantis mit Tochtermarken wie Fiat, Peugeot, Chrysler oder Citroën. Die Branche steckt im größten technologischen Wandel ihrer Geschichte, gleichzeitig wird die China-Konkurrenz immer härter. Die Folge: Verluste, Jobabbau.

„Wir werden die eine oder andere Anpassung machen müssen.“

Siemens profitiere zwar „von der anhaltend großen Nachfrage bei der Elektrifizierung, Mobilität und unseren industriellen Software-Angeboten“, sagt Konzernchef Roland Busch. Wegen der schwachen Geschäfte aber könnten in der Sparte „Digital Industries“ bis zu 5000 von 70 000 Stellen wegfallen, die Rede ist zurzeit von einer niedrigen bis mittleren vierstelligen Zahl. „Wir werden die eine oder andere Anpassung machen müssen – weltweit“, sagt Busch, als er am Donnerstagmorgen bei der Jahrespressekonferenz zuerst über den Siemens-Rekordgewinn insgesamt spricht – und danach über das, was sonst noch so im Unternehmen passiert.

Da es ja kaum eine Bilanzpressekonferenz ohne ein neues strategisches Programm gibt: In diesem Jahr heißt das Zauberwort „One Tech Company“, ein Tech-Unternehmen also, alles unter einem Dach. Zur Strategie gehört unter anderem, Software nur noch einmal zu entwickeln und dann im gesamten Konzern einzusetzen. Zur einheitlichen Tech-Company gehört auch der in diesen Tagen angekündigte Zehn-Milliarden-Dollar-Kauf des US-Tech-Unternehmens Altair, das auf Industriesoftware für Unternehmen aus der Luftfahrt-, Automobil- und Energiebranche spezialisiert ist. Ein Unternehmen, mit dem Siemens noch stärker in das Geschäft mit künstlicher Intelligenz (KI) einsteigen will. Man habe sich das vorher gut angeschaut, sagt Busch, beide Unternehmen passten „gut zusammen“. Er spricht von einem „kulturellen Fit“.

Zwischen Trumps USA und China

Kulturell mag es passen, strategisch sowieso – aber was ist mit der Politik? Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird der unberechenbare Donald Trump im Weißen Haus regieren, und schon jetzt geht die Frage nicht nur in der deutschen Industrie um: Wie soll man sich verhalten, wenn sich der Zoll- und Handelsstreit zwischen China und den USA weiter zuspitzt, vielleicht sogar bis zu einem regelrechten Handelskrieg? Busch sagt erst einmal das, was gerade Programm ist, überall: „Nach den Wahlen in den USA und angesichts der politischen Lage in Deutschland werden die Zeiten nicht einfacher.“ Das kann wohl jeder unterschreiben.

Die Frage ist, wie es weitergehen soll, wenn Europa dabei immer mehr zwischen die Fronten gerät und eines Tages vom kommenden US-Präsidenten vor die Wahl gestellt wird: Mit den USA Geschäfte machen – oder doch mit China? „Viele sehen in China große Risiken, wir sehen dort große Chancen“, sagt Busch. Eine Aussage, die natürlich erstmal so lange funktioniert, wie auch Welthandel und Geopolitik einigermaßen funktionieren. Siemens versucht daher wie viele, auf verschiedenen Märkte als lokaler Anbieter aufzutreten, das kann politisch manchmal sinnvoll sein, zollpolitisch sowieso. „Wir sind überall sehr lokal aufgestellt“, sagt Busch. Local for local, so heißt das Prinzip, in den einzelnen Märkten für die Märkte zu produzieren.

Aber kann man sich auf den Tag vorbereiten, an dem selbst das Spiel mit lokalen Märkten nicht mehr richtig funktioniert und es vielleicht richtig schwierig wird? Dazu sagt Siemens-Finanzchef Ralf Thomas: „Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass wir uns mit unseren Planungen an der Realität orientieren.“ Das Problem mit der Realität ist ja gerade in diesen Zeiten, dass sie sich schnell drehen kann, Realitäten sind im ständigen Fluss. Man halte sich „an die Gegenwart“, könne aber reagieren, „wenn es anders kommt“, so Thomas. Aber, so viel dann doch: Man würde sich „nicht freuen über die Errichtung von Handelshemmnissen“.

Beim Sender NTV wurde Siemens-Chef Busch dann noch gefragt: Würde er zu einem Abendessen in Donald Trumps Florida-Residenz Mar-a-Lago gehen, wenn er eingeladen wäre? Zu einem Dinner im Kreise von amerikanischen Tech-Unternehmern etwa? Busch überlegt nicht lange. „Ja, ich würde hingehen.“ Der amerikanische Markt sei „wichtig für uns, das Engagement mit der Politik auch“.

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