Süddeutsche Zeitung

Siemens:Pläne für die Morgendämmerung

Siemens-Chef Joe Kaeser denkt schon mal an Strategien für die Zeit nach Corona.

Von Thomas Fromm

Es ist sehr gut möglich, dass sich Joe Kaeser, 62, seine letzten Monate als Siemens-Chef anders vorgestellt hatte. Öfters mal ein öffentlicher Auftritt, Konferenzen und Großaufträge in aller Welt, und vor allem einige Probleme weniger. Das Drehbuch für die nächsten Monate ist schon länger fertig: Noch mal schnell den alten Konzern aufspalten und das Energiegeschäft mit seinen 80 000 Mitarbeitern und 30 Milliarden Umsatz an die Börse bringen. Dann allmählicher Rückzug von der Spitze, und spätestens im Februar 2021 dann die Übergabe an seinen Nachfolger Roland Busch. Spätestens dann hätte er Zeit für den nächsten beruflichen Schritt: Aufsichtsratschef von Siemens Energy zu werden. Dann aber kam Corona in die Welt, auch in die von Siemens, und statt auf eine gepflegte Abschiedstour zu gehen, muss der Chef nun noch doch einmal richtig ran - und durch komplizierte Monate führen.

Der Kaeser, der an diesem Freitagmorgen die Quartalszahlen seines Unternehmens vermeldet, ist - und das passiert selten - irgendwie selbst überrascht von dieser neuen, seltsamen Welt. Im abgeschlossenen Quartal lag der Umsatz fast unverändert bei 14,2 Milliarden Euro, aber unterm Strich verdiente Siemens zwischen Januar und März 697 Millionen Euro - ein Gewinnrückgang von fast zwei Drittel. Kaeser nennt es ein "robustes Quartal trotz komplizierter Umfeldbedingungen". Robust kann sehr relativ sein, wenn man noch ein paar harte Wochen vor sich hat. Wie soll es nun weitergehen?

Die "Talsohle" werde man erst im laufenden dritten Quartal sehen, sagt Kaeser, was für sich schon wieder eine gute Nachricht sein könnte. Wenn man nur genau wüsste, was einen nach der "Talsohle" dann genau erwartet.

Es könnte einige lange Monate dauern, bis alles wieder so läuft wie vorher, deshalb gibt es auch keine Prognosen aus München. Man wisse selbst nicht, wie lange einen diese Pandemie noch beschäftigen wird, sagt Kaeser. "Und unsere Kunden wissen das auch nicht." Ohnehin ist das mit den Kunden gerade so eine Sache: Die Autoindustrie wartet auf Kaufprämien, in der Flugzeugbranche ist die Stimmung besonders mies, in China ist das Geschäft längst wieder angesprungen, Europas Industrie liegt noch weitgehend in Schockstarre. Und der Siemens-Chef? Neben dem Talsohlen-Kaeser gibt es auch den Optimisten Kaeser, der jetzt nach vorne schauen will. Weil das zurzeit das Beste ist, was man machen kann, selbst wenn man da nicht sehr viel erkennen kann. Man wisse, "dass es eine Zeit nach Corona gibt", sagt Kaeser, darauf "bereiten wir uns vor". Und dann kommt ein nicht ganz untypischer Kaeser-Aphorismus, ein Satz, der beruhigen soll: "Kurz vor der Dämmerung ist die Nacht am dunkelsten." Fürchtet Euch nicht, es ist ringsherum zwar gerade stockdunkel, aber bald wird es wieder hell auf Erden!

Kaeser plant also schon mal für die Morgendämmerung. Automatisierung, Digitalisierung - vieles von dem, was der Konzern seinen Kunden aus der Industrie anbietet, werde in Nach-Corona-Zeiten wohl mehr denn je gebraucht. An seinem Plan, die Energie-Sparte Siemens Energy im September an die Börse zu bringen, hält er fest, auch wenn die inzwischen schon in die roten Zahlen gerutscht ist. Darüber entscheiden soll eine außerordentliche Hauptversammlung am 9. Juli. Das Aktionärstreffen, bei dem über eine der einschneidendsten Konzernveränderungen überhaupt entschieden wird, muss dann virtuell stattfinden. Anders gehe es nicht.

Abgespalten und an die Börse gebracht werden soll nun auch die Antriebstochter Flender, die unter anderem Bauteile für Windkraftanlagen liefert. Fürs erste vom Tisch ist eine Trennung von der Zug-Sparte. Nachdem ein Zusammengehen mit dem französischen Alstom-Konzern von den EU-Wettbewerbshütern untersagt worden war, sucht man nun eine neue Strategie - auch durch Zukäufe.

Von Jobstreichungen ist keine Rede. Man werde versuchen, "Kolleginnen und Kollegen zu halten", sagt Kaeser. Das sei eine Frage der Verantwortung. Und wenn es eines Tages nach oben gehe, brauche man sie eh wieder.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2020
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