Siemens: Peter Löscher:Der große Mahner

Er geißelt die Politik und zitiert Peter Scholl-Latour: Beim Aktionärstreffen von Siemens gibt Konzernchef Löscher den Moralisten. Doch dann geht es um die unschönen Themen.

T. Fromm

Etwas ist anders als sonst. Vielleicht, dass er diese typische Managermiene abgelegt hat, die man bei vielen Hauptversammlungen von Großkonzernen sieht. Diesen wissenden, coolen und doch unsicheren Blick in Richtung Aktionäre. Stattdessen aber lässt Peter Löscher seinen Augen durch die Halle wandern wie ein Politiker, so als würde er Blickkontakt suchen. Souverän, mit Pausen für den Applaus, er setzt Akzente, moduliert die Stimme. Dramaturgisch hat der Siemens-Chef dazugelernt in den letzten drei Jahren.

Siemens, Peter Löscher, Foto: dpa

Die Hauptversammlung ist seine Bühne: Konzernchef Peter Löscher zitiert beim Aktionärstreffen sogar den Publizisten Peter Scholl-Latour

(Foto: Foto: dpa)

Und noch etwas fällt auf: Es gab Zeiten, da war Gerhard Cromme, der Siemens-Aufsichtsratschef, der sich in Zeiten der Schmiergeldaffäre selbst zum Aufräumer emporgeschwungen hat, für viele der Star bei Siemens. Für andere die Reizfigur, an der man sich reiben konnte. Jetzt ist der Milliardenskandal mit den Vergleichen mit Ex-Managern so gut wie abgehakt, muss nur noch von den Aktionären angenommen werden. Und der Mann, der Siemens und Thyssen-Krupp kontrolliert, nur noch ein Statist für die einführenden Worte. Den Hauptpart spielt Löscher.

Und er tut etwas, was man so von ihm nicht erwartet hätte: Er hält eine politische Grundsatzrede. Er kritisiert die Banker und dass sich "in Teilen der Finanzwelt eine Kasino-Mentalität breitgemacht" habe. Und er gibt sich "schwer enttäuscht" über das "Unvermögen der Staatengemeinschaft, auf der Klima-Konferenz in Kopenhagen ein eindeutiges Bekenntnis zu einem klaren gemeinsamen Handlungswillen abzugeben". Spricht von einer Menschheit, die "von der Substanz" lebt. Zitiert Peter Scholl-Latour, der vom "Ende der Epoche westlicher Vormacht" schreibt.

Höherer Gewinn

Die Rolle des Mahners, des Kritiker und politischen Moralisten ist eine, die Löscher gefällt, das fällt auf. Und sie sorgt beim Aktionärstreffen in der Münchner Olympiahalle erst einmal für die richtige Atmosphäre. Gutes tun, damit Geld verdienen, den Konzern so nach vorne bringen - das kommt an, die Aktionäre klatschen.

Dann aber ist es nicht mehr Löscher, der die Themen vorgibt. Jetzt geht es um die unbequemen Dinge im Konzern, die Details. Die Mitarbeiter zum Beispiel, sie sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Dabei läuft es eigentlich verhältnismäßig rund. Obwohl der Umsatz im ersten Quartal um zwölf Prozent auf 17,35 Milliarden Euro schrumpfte, stieg der Gewinn um fast ein Viertel auf 1,5 Milliarden Euro - vor allem, weil man die Kosten beim Personal in Vertrieb und Verwaltung drastisch senkte.

Auf der einen Seite warnt der Manager, dass das Jahr 2010 "nicht leichter als 2009" werde; dass das Wachstum noch nicht nachhaltig sei. Andererseits schließt der Konzern nicht aus, nach dem Gewinnanstieg vom ersten Quartal seine Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr noch einmal anzuheben. Es ist klar: Um die Ziele zu erreichen, dürfte es noch einmal zu drastischen Stellenstreichungen kommen. Löscher vermeidet das Wort Jobabbau, er spricht lieber von "punktuellen Anpassungsmaßnahmen" in "spezifischen Geschäftsbereichen", die "unumgänglich" seien.

"Lächerlich gering"

Erwartet wird, dass es vor allem in der schwächelnden Industriesparte zu weiteren Einschnitten kommt - so etwa im Automatisierungsgeschäft. Nicht alles wird sich dann wie in den vergangenen Monaten über Kurzarbeit regeln lassen, Siemens wird weiter Stellen abbauen. Wie viele dies sein könnten, will der Konzern am kommenden Donnerstag mit dem Betriebsrat im Wirtschaftsausschuss besprechen. Arbeitnehmervertreter befürchteten am Dienstag, dass es Tausende Jobs sein dürften, die Siemens in der nächsten Zeit abbauen will.

Bei vielen Aktionären liegen die Dinge anders. Sie gratulieren Löscher zum Gewinnanstieg, loben, dass die Aktie des Dax-Konzerns am Dienstag um bis zu vier Prozent anstieg, und sie warten nun auf die nächsten Gewinne. Es sind andere Dinge, die sie stören. Zum Beispiel die Vergleiche mit Ex-Managern in Höhe von insgesamt 19,5 Millionen Euro: Zu wenig angesichts der Milliardenschäden, die der Konzern durch die Affäre erlitten hat. "Das ist aus meiner Sicht lächerlich gering", sagt Harald Petersen von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hält die Beträge für "Peanuts".

Wenig Verständnis auch für die millionenschwere Vergütung des Vorstands, der 2009 insgesamt 27 Millionen Euro verdiente. 7,1 Millionen Euro davon gingen allein an Vorstandschef Löscher - zu viel für ihn, zu wenig für die anderen, so die Aktionäre. Am Ende des Treffens sollten sie über das Vergütungssystem bei Siemens abstimmen.

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