Süddeutsche Zeitung

Siemens:Das ist die neue Siemens-Personalchefin

Der kommende Konzernchef Roland Busch baut sein Team auf. Judith Wiese soll Janina Kugel folgen. Warum dahinter mehr als eine reine Vorstandspersonalie steckt.

Von Thomas Fromm

Ein Video von Anfang 2019, Judith Wiese spricht mit angenehm britischem Akzent über Gender-Diversität in Unternehmen, die "so wichtig für uns" sei wie "geografische Diversität". Und dass es wichtig sei, dass in ihrem Unternehmen - dem niederländischen Ernährungs- und Gesundheitskonzern DSM - auf Karrieremöglichkeiten für Frauen geachtet wird. Weil Frauen, die ins Unternehmen kämen, eben gerne auch Chancengleichheit hätten.

Es lohnt sich also, das Netz nach Spuren der Judith Wiese zu durchsuchen. Denn das ältere Unternehmensvideo zeigt ziemlich deutlich, worauf es der Managerin ankommt, was sie antreibt und was ihr Hauptthema ist. Und das macht diese Personalie so interessant: Die 49-Jährige soll zum 1. Oktober als Personalchefin zu Siemens wechseln - als Nachfolgerin von Janina Kugel, die vor gut einem halben Jahr ausgeschieden war. Wechseln in einen Konzern also, von dem es immer heißt, er sei im Grunde immer noch ein von Männern dominierter Ingenieursverein. Dass bei Siemens zuletzt nicht nur Kugel ging, sondern auch die US-Energiemanagerin Lisa Davis und jüngst auch Mobility-Chefin Sabrina Soussan, zeigte: Bei dem Münchner Traditionskonzern werden Frauen tatsächlich wieder rarer.

Dabei geht es bei Judith Wiese um mehr als eine reine Vorstandspersonalie. Mit Wiese, die vor ihrer Zeit bei DSM lange für den US-Nahrungsmittelkonzern Mars tätig war, beginnt bei Siemens der große Konzernumbau nun auch personell. Eine deutschsprachige Managerin mit reichlich internationaler Erfahrung - ihr Profil passe perfekt zu dem, was auf sie zukomme, heißt es in München. Oder, wie es Siemens-Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe sagte: "Ihre Ernennung ist auch ein wichtiger Schritt zur Gestaltung des Führungsteams der neu aufgestellten und fokussierten Siemens AG."

Wiese, die einen Abschluss in Personal- und Wirtschaftswissenschaften hat und in Rotterdam und Duisburg studierte, kommt zu einem Zeitpunkt großer Veränderungen nach München: Es beginnt mit dem Börsengang der Energietechniksparte mit ihren Kraftwerken und den Erneuerbaren Energien. Eine historische Zäsur, denn Siemens kappt damit rund 40 Prozent seiner Umsätze. Zurück bleiben klassisches Industriegeschäft, Digitalisierung, Automatisierung. Wer in solchen Zeiten das Personalressort übernimmt, muss sehen, dass er zwischen dem Management und den Arbeitnehmervertretern vermitteln kann - vor allem das Vertrauen der Betriebsräte ist wichtig. Man erwarte "von der neuen Arbeitsdirektorin, dass sie den Kurs ihrer Vorgängerin im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit fortsetzt, die Mitbestimmung respektiert und auf Beteiligung achtet", sagte IG-Metall-Vorstand und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner.

Ihr Start in München fällt aber auch mitten hinein in das Ende einer Ära: Nach Jahren an der Spitze wird sich Konzernchef Joe Kaeser in den kommenden Monaten Stück für Stück zurückziehen; spätestens Anfang 2021 übernimmt dann sein Vize Roland Busch den Vorstandsvorsitz. Personalien müssen in diesen Tagen daher vor allem auch so verstanden werden: Nach sehr stark von der Person Joe Kaeser geprägten Jahren will hier mit Busch nun einer seine eigene Mannschaft zusammenstellen. Busch, das weiß man in der Zentrale am Wittelsbacher Platz, braucht für die Zeit nach Kaeser seine Hausmacht als Chef.

Der Konzern wird kleiner, die Sparten sollen fokussierter, schneller und flexibler werden

Dazu gehört auch eine der zentralen Fragen: Wer soll künftig das Digitalgeschäft, im Grunde das Kerngeschäft des verbleibenden Siemens-Konzerns, führen, wenn der amtierende Chef Klaus Helmrich im nächsten Jahr in Rente geht? In Konzernkreisen heißt es, der 47-jährige Cedrik Neike könne durchaus der künftige Mann für Industrieautomatisierung und -software sein - allerdings sei dies "noch nicht spruchreif". Neike ist seit April 2017 Mitglied im Siemens-Vorstand und im Moment für die Einheit Smart Infrastructure (Gebäudetechnik und Energiesysteme) zuständig. Bekäme er den Job, würde er zu einem der wichtigsten Menschen im Konzern aufsteigen. Wie Wiese hat auch Neike eine internationale Vita. 1997 kam er zum ersten Mal zu Siemens, später wechselte er zum US-amerikanischen Telekommunikationsriesen Cisco. Die Mischung aus Siemens-Sozialisation und Silicon-Valley-Erfahrung gilt als vorteilhaft, wenn man in München besondere Aufgaben anstrebt.

Neike, Busch, Wiese - sie alle müssen nun dafür sorgen, dass der große Strategieplan des Joe Kaeser am Ende funktioniert. Dass es gelingt, auch das inzwischen weitaus kleinere Siemens zukunftsfähig zu machen. Denn nicht nur die Energiesparte ist bald weg - zuvor war auch schon das alte Medizintechnikgeschäft mit seinen Röntgenapparaten und Computertomografen an die Börse gebracht worden; andere Bereiche wie das Kommunikationsgeschäft sind schon seit Jahren weg. Fokussierter, schneller, flexibler - so wollte Kaeser seine Siemens-Geschäftssparten haben: klein und eigenständig statt Teil eines großen Konglomerats mit Hauptsitz in München.

Kaeser, der Architekt des Umbaus, wird die Zukunft des Unternehmens aus dem Aufsichtsrat von Siemens Energy heraus beobachten. Er will von Herbst an hier Aufsichtsratschef sein.

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SZ vom 14.07.2020
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