Süddeutsche Zeitung

Siemens:Alles, nur keine Nostalgie

  • Siemens will sein Kraftwerksgeschäft an die Börse bringen. Damit kappt der Konzern eine seiner Wurzeln.
  • Chef Joe Kaeser will Siemens einfacher machen - und damit verhindern, dass der Konzern die gleichen Probleme bekommt wie sein größter Konkurrent.

Von Thomas Fromm

Es ist 9.30 Uhr, als Joe Kaeser vor die Investoren und Analysten tritt. Krawattenlos, weißes Hemd, ein Ausfallschritt nach rechts, einer nach links, ein kurzer Gang über die Bühne. In der rechten Hand hält er das Kommando für die Powerpoint. Der Chef des 1847 gegründeten Industriekonzerns spricht - auf Englisch, of course - über Portfolio Management, Innovationen, über Margen und Timelines in einer Welt, die immer digitaler, aber auch unübersichtlicher wird. Manchmal hebt er die Stimme, manchmal lacht er kurz in sich hinein, und wenn ihm etwas wichtig ist, geht die rechte Hand hoch und runter oder zieht eine Linie und unterstreicht das Gesagte.

Joe Kaeser, 61 Jahre alt und seit fast 40 Jahren im Siemens-Konzern, hat bei den Kollegen der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley gelernt. Er weiß, wie man im richtigen Moment locker wirkt, die Bühne beherrscht, die Menschen aus der Finanzwelt unterhält. Selbst wenn man nicht über Smartphones, sondern über Themen wie Kraftwerke oder Medizintechnik redet.

Kaeser weiß an diesem Mittwochmorgen natürlich längst, dass er das Spiel mit den Menschen in den dunklen Anzügen vor ihm schon gewonnen hat: Gleich am Mittwochmorgen waren die Aktien seines Unternehmens um rund fünf Prozent gestiegen, Siemens war stärkster Gewinner im Dax. So etwas passiert hier auch nicht jeden Tag, schon gar nicht in diesen Zeiten, und es kann auch nicht nur daran liegen, dass Siemens kurz vorher einen Gewinnanstieg von sieben Prozent auf 2,4 Milliarden Euro im zweiten Quartal gemeldet hat. Viel wichtiger ist: Kaeser hat am Vortag einen der größten Umbrüche in der mehr als 170 Jahre alten Geschichte dieses Unternehmens bekannt gegeben: Siemens spaltet seine Kraftwerkssparte ab, eines der ältesten und traditionellsten Geschäfte des Konzerns.

Ausgliedern, an die Börse bringen, den Rest-Konzern verschlanken - das ist inzwischen ein bewährtes Kaeser-Rezept, eines, das der Vorstandschef nicht zum ersten Mal aus der Schublade holt. Die Investoren mögen es, und deshalb hat Kaeser sie schon gewonnen, bevor er überhaupt auf die Bühne gehen muss. "Wir betonen seit einiger Zeit, dass Siemens einfacher werden sollte und werden wird", sagte ein Investmentbanker am Mittwoch.

Kaeser macht Siemens einfacher. Aber das macht die Sache gleichzeitig auch kompliziert. Der alte Kern von Siemens schmilzt, und zurück bleiben wichtige Zukunftstechnologien wie die Digitalisierung von Fabriken und die Industrieautomatisierung. Drumherum hat der Siemens-Chef in den vergangenen Jahren ein Netz von Beteiligungen an den klassischen Industriegeschäften gespannt, die früher mal Teil des Kerns waren: Die Windenergiesparte, die zusammen mit der spanischen Gamesa zusammengelegt wurde, die Medizintechniksparte Healthineers, die an die Börse gebracht wurde. Die Zugsparte sollte mit dem Zuggeschäft des französischen Herstellers Alstom zusammengeführt werden, was allerdings am Veto der EU-Kommission scheiterte. Die Leuchtentochter Osram hat Siemens schon vor Jahren aus dem Konzern geworfen und an die Börse gebracht. Und was sonst noch alles mal zu Siemens gehörte, Dinge wie Handys, Speicherchips, Waschmaschinen.

Und dann erzählt er die Geschichte von den Dinos

Nun ist also die Kraftwerkssparte dran, ein Gigant mit 80 000 Mitarbeitern und 30 Milliarden Euro Umsatz, eine der alten, klassischen Wurzeln des Konzerns. "Mir fällt schwer, das zu tun, ich bin fast 40 Jahre bei dem Unternehmen", sagt der Chef, was nostalgisch klingt, aber im Grunde wohl nicht so gemeint sein dürfte. Denn, auch das sagt er: Man dürfe "Ruhe nicht mit Stillstand verwechseln".

Kaeser, so viel ist klar, ist kein Mann des Stillstands. Alles, nur keine Nostalgie. Er glaubt, dass das gesamte Energiegeschäft besser dran ist, wenn es mehr Eigenständigkeit hat und von Siemens nur noch indirekt und aus der Ferne geführt wird. Elektromobilität, Energiewende und die Frage, wo die Elektrizität der Zukunft herkommen soll - diese Fragen treiben ihn um. "Wir haben heute längst nicht genug Elektrizität für alles", sagt er. Und deshalb glaubt er, dass es schon irgendwie klappen wird mit dem neuen Unternehmen.

Besser jedenfalls, als die Probleme des anderen weltweiten Industriekonglomerats zu haben: General Electric (GE), seit Jahrzehnten der schärfste Rivale der Münchner, musste wegen seiner Probleme in der Energiesparte im vergangenen Jahr 23 Milliarden Dollar abschreiben. Hier der schwerfällige Tanker GE, da das neue, agile Siemens - so sieht Kaeser die Welt. Und so erzählt er den Analysten noch einmal eine Geschichte, die er immer wieder gerne erzählt: die alte Story der Dinosaurier. Wenn es auf schiere Größe ankäme, sagt der Siemens-Chef, dann müssten die Dinosaurier heute noch herumlaufen. Tun sie aber nicht. Also kann es bei all dem nicht um Größe gehen, sondern um die Frage, ob man es schafft, sich neuen Lebensbedingungen anzupassen. Siemens, so viel ist klar, gehört nicht zu diesen Dinosauriern. Sonst wäre man ja schließlich nicht mehr da.

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