Siemens-Chef:"Ich bin zu alt, um es allen recht zu machen"

  • Joe Kaeser will den Siemens-Konzern radikal umstrukturieren und damit verhindern, dass das Unternehmen in ähnliche Probleme gerät wie die Konkurrenz.
  • Es ist bereits der vierte Umbau innerhalb von nur zehn Jahren. Viele Mitarbeiter sehen die Pläne mit Sorge.

Von Caspar Busse

Es werde eine Evolution sein, eine behutsame Weiterentwicklung also, hieß es in den vergangenen Wochen bei Siemens, wenn die Sprache auf den anstehenden Konzernumbau kam. Das, was Joe Kaeser, 61, dann an diesem Donnerstag in München präsentierte, ist allerdings alles andere als behutsam. Man kann es getrost als Revolution bezeichnen. Der Siemens-Vorstandsvorsitzende baut das Unternehmen grundlegend um. Und zwar so, dass eine Rückkehr zu alten Strukturen so schnell kaum noch möglich sein wird.

"Weniger Steuerung durch die Zentrale und mehr Freiheit für die Geschäfte machen uns stärker und flexibler", sagte Kaeser. Die Verhältnisse in der Welt würden sich so rasant ändern, dass Siemens schnell reagieren müsse: "Die Zeiten, in denen wir Projektgeschäft-, Produkt-, Software- und Dienstleistungsunternehmen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen zentral und effizient steuern konnten, sind vorbei."

Genau das war aber seit Jahrzehnten der Ansatz der Münchner. Die Zentrale am Wittelsbacherplatz war das Herzstück, die letzte Instanz. Draußen in der Welt machten sie die Geschäfte, aber bitte nur in enger Abstimmung mit München. Das alles soll sich jetzt grundlegend ändern.

Künftig, so beschrieb es Kaeser gut gelaunt, werde es eine sehr schlanke Hauptverwaltung geben, darunter dann weitgehend autonome Geschäftsbereiche. Damit will Siemens näher am Kunden sein. Neben den künftig drei börsennotierten Gesellschaften, an denen Siemens die Mehrheit der Aktien halten wird - Healthineers (Medizintechnik), Siemens-Gamesa (Windenenergie) und Siemens-Alstom (Züge und Nahverkehr) - soll es weitere drei, etwa gleich große Felder geben: Energie, smarte Infrastruktur und digitale Industrie. Letzteren Bereich bezeichnete Kaeser gar als "Diamanten". Die Sparte wuchs zuletzt stark und bringt hohe Gewinne. Für einen Börsengang dieses Bereichs bestünden derzeit aber keine Pläne.

In einem siebten Bereich will Siemens die Forschung sowie alle verbliebenen Problemfälle bündeln, etwa die Post- und Flughafen-Automatisierung oder die Tochterfirma Flender, die mechanische Antriebe herstellt. Diese derzeit defizitären Sparten - manche sprechen schon von einer Resterampe - sollen bis spätestens 2020 Gewinne machen. Einen späteren Verkauf einzelner Teile schließt Kaeser nicht aus.

Siemens wolle kein Getriebener werden, sondern selbst handeln, betonte Kaeser - und spielte damit auf einige Konkurrenten und andere Mischkonzerne an, die derzeit in großen Schwierigkeiten sind. General Electric (GE) etwa befindet sich in einer existenziellen Krise und spielt eine Zerschlagung durch. Auch die Traditionsfirma Thyssenkrupp steht vor einer Aufspaltung, seit aggressive Investoren eingestiegen sind und auf diese Schritte drängen. Die Zahl sogenannter aktivistischer Investoren nehme besonders in Deutschland zu, sagte Kaeser: "Das ist ein Teil unseres Systems und wir sollten das ernst nehmen."

Die Siemens-Aktie verlor am Donnerstag fast vier Prozent

Die Unruhe bei den insgesamt mehr als 370 000 Mitarbeitern dürfte beträchtlich sein, denn eine Vielzahl bekommt künftig wohl neue Aufgaben. Was der Umbau genau für die Zentrale in München bedeutet, ließ Kaser offen. Das würde nun in den kommenden sechs Monaten entschieden. In der Hauptverwaltung gibt es 1200 Jobs, weitere Zehntausende im Konzern arbeiten für die Zentrale. Siemens werde keine reine Holding, sagt Kaeser, sondern werde die Geschäfte weiter strategisch steuern.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Siemens-Mitarbeiter auf Veränderungen einstellen müssen. Allein in den vergangenen zehn Jahren wurde der Konzern vier Mal umgebaut. Die Arbeitnehmer, die in die Planung eingebunden waren, sehen die neue Umstrukturierung mit Sorge. "Die neue Ausrichtung darf nicht dazu führen, dass Marke und Identität von Siemens als vernetzter Technologiekonzern verloren gehen", sagte Birgit Steinborn, die Chefin des Siemens-Gesamtbetriebsrats und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. "Den Weg in eine Holdingstruktur werden wir weiterhin nicht akzeptieren", betonte Jürgen Kerner, IG-Metall-Vorstand und Mitglied des Aufsichtsrats. Dies könnte den Weg in eine von den Finanzmärkten getriebene Zerschlagung des Konzerns ebnen. Kaeser betonte dagegen, dass gerade mehr Flexibilität und eine höhere Ertragskraft wichtig seien, damit Siemens seinen eigenen Weg gehen könne.

Die Siemens-Aktie verlor am Donnerstag fast vier Prozent, der größte Rückgang seit sechs Monaten. Die Anleger waren wohl vor allem enttäuscht, dass die Prognosen zu Gewinn und Umsatz nicht angehoben wurden. Kaeser zeigte sich davon unbeeindruckt. "Ich bin zu alt, um es allen recht zu machen", sagte er. Der Weg sei richtig, und jetzt sei auch der richtige Zeitpunkt.

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