Siemens-Klage:Ende der Scheinheiligkeit

Siemens will gegen den früheren Vorstand klagen und viele fragen, ob man das darf. Dabei muss der Konzern so handeln - aus ökonomischen und ethischen Gründen.

Marc Beise

Es gibt immer noch Menschen, die halten die ganze Aufregung um Schmiergelder und schwarze Kassen bei Siemens für maßlos übertrieben. Sie schütteln den Kopf über den Eifer, den Staatsanwälte, Medien und vor allem die neue Siemens-Führung samt den von ihr engagierten amerikanischen Anwälten an den Tag legen. Womöglich sind sie sogar der Meinung, hier geschehe der früheren Führung Unrecht.

Siemens-Klage: Kann ein Unternehmen seinen ehemaligen Vorstand verklagen? Es muss sogar.

Kann ein Unternehmen seinen ehemaligen Vorstand verklagen? Es muss sogar.

(Foto: Foto: ddp)

Erstens habe diese von all dem Übel ja nichts gewusst, und wenn zweitens doch, dann sei das Bakschisch-Gehabe doch auch bei anderen Unternehmen im In- und Ausland üblich und also nicht verwerflich.

Wie, um Himmels willen, sollen denn sonst die vielen lukrativen Projekte in die hiesigen Auftragsbücher kommen?

So denken nicht nur manche alten Siemensianer. Sondern auch Intellektuelle wie der Schriftsteller Martin Walser, der soeben abfällig von einem "Reinheitseifer" gesprochen hat, einer Kultur des "Rechthabenmüssens", die ihn an das katholische Gebot erinnere, "das den ehelichen Geschlechtsverkehr nur erlaubt, wenn er stattfindet zur Fortpflanzung". Auch manche Wirtschaftsführer schütteln über die neuen Siemens-Manager insgeheim den Kopf.

Hoffnung auf Gnade der SEC

All diesen Kritikern setzten Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, Vorstandvorsitzender Peter Löscher und IG-Metall-Chef Berthold Huber nun die größtmögliche Provokation entgegen: Jetzt wollen sie allen Ernstes den gesamten früheren Vorstand auf Schadensersatz verklagen - einschließlich der Ikone von Erlangen, Heinrich von Pierer, und seines Nachfolgers Klaus Kleinfeld. Ja, darf das denn noch sein?

Es darf nicht nur sein - es muss sogar sein. Zum einen deshalb, weil nur mit einer schonungslosen Aufklärung und Ahndung der beispiellosen Vorgänge bei Siemens überhaupt die Chance auf einen am Ende erträglichen Schuldspruch der US-Börsenaufsicht SEC besteht. Wenn nämlich die Amerikaner das fällige Bußgeld für Siemens nach den Sätzen berechnen würden, den andere Firmen für vergleichsweise geringe Vergehen zahlen mussten, würde sich die Strafe für Siemens auf einen zweistelligen Milliardenbetrag summieren: Der Konzern könnte in München die Bücher zuklappen.

Zum anderen aber - und das macht die eigentliche Bedeutung des Falls aus - geht von Siemens eine erneute Welle der Selbstreinigung der deutschen Wirtschaft insgesamt aus. Endgültig vorbei sind hoffentlich bald die Zeiten, in denen in deutscher Überheblichkeit in der sogenannten "Dritten Welt" mit Schmiergeld nachgeholfen wurde. Das war immer ein scheinheiliges, nachgerade unwürdiges Verhalten von Unternehmen, das auch noch vom Staat belohnt wurde. Hierzulande war die Bestechung deutscher Amtsträger, natürlich, verboten. Wenn aber Deutsche im Ausland schmierten, senkte das als Betriebsausgabe die Steuerschuld. Seit 1999 endlich gilt diese Regel nicht mehr - endlich.

Erfolg mit Moral

Manche Unternehmen haben sich beizeiten auf diese Veränderung eingestellt, andere bis heute nicht. Der Vorstoß der neuen Führung am Wittelsbacherplatz in München setzt alle unter Druck. Spätestens jetzt muss jedem Verantwortlichen klar sein, dass die unmoralischen Zeiten vorbei sind. Wer dennoch weiterhin meint, seinen eigenen Regeln folgen zu dürfen oder auch nur darauf verzichtet, wirkungsvolle Kontrollmechanismen einzuführen, kann auf keine Milde mehr hoffen. Dem helfen dann am Ende weder die Manager-Haftpflichtversicherung noch die guten Beziehungen in die Politik. Der wandert womöglich einfach in den Knast.

Es gibt keinen Grund, dies zu bedauern. In der neuen Geschäftswelt, in der die moralischen Standards unbedingt gelten, werden die gut und sauber geführten Firmen Erfolg haben. Sie punkten mit gutem Image und als verlässliche Partner - und sind am Ende auch finanziell erfolgreicher. Viele der krummen Dinger früher wären ja gar nicht nötig gewesen, etliche Gelder sind gar nicht erst dort angekommen, wohin sie fließen sollten. Nicht auszudenken, wo Siemens heute stehen könnte, wenn der Konzern nur seinen Stärken vertraut hätte und nicht auch dem Scheckheft.

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