Industrie und Kernkraft:Siemens: Nachdenken über den Ausstieg

Bei Siemens bröckeln alte Gewissheiten. Viele zweifeln nach der Katastrophe von Fukushima an der Kernkraft. Vorstandschef Löscher hat ein dickes Problem. Wird sich der Ex-Atomkonzern wandeln?

Thomas Fromm und Martin Hesse

Für Mitarbeiter von Siemens sind es schwere Tage. Jeden Tag laufen im Fernsehen gespenstische Bilder aus Japan. Bilder, die das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima zeigen. Bilder, die dokumentieren, wie radioaktiv verstrahltes Wasser ins Meer schießt. Und dann gehen die Siemensianer in ihre Büros - und wissen, dass es gerade der eigene Konzern ist, der im Atomgeschäft mitmischt und große Pläne verkündet hat.

siemens

Das Atomgeschäft von Siemens.

Vor zwei Jahren lobte Vorstandschef Peter Löscher, 53, eine Partnerschaft mit der staatlichen russischen Atomfirma Rosatom aus. Sie sollte die Münchner beim Bau von Atomkraftwerken weit nach vorne bringen. Bis zu 400 Nuklearbetriebe mit 1000 Milliarden Euro Investitionsvolumen könnten bis 2030 weltweit entstehen, schätzte Löscher. Von erneuerbaren Energien über Kohle und Gas bis zur Atomkraft, überall wollte Siemens eine führende Rolle spielen.

Doch jetzt, nach Fukushima, bröckeln die alten Gewissheiten. Der CDU-Bundesumweltminister will ganz schnell raus aus der Kernenergie, die Wähler wählen grün, und auch bei Siemens wird heftig um Atom gestritten. Arbeitnehmer und Betriebsräte fragen sich, ob die alte Nuklearstrategie nicht bald entsorgt werden muss. Selbst das Management räsoniert, wo auf Dauer die wirtschaftlichen Perspektiven der Kernkraft liegen. Welchen Sinn macht es, sich wie Siemens als "grüner Industriekonzern" zu profilieren, mit einem eigenen neuen Vorstandsressort für "Green Cities", wenn gleichzeitig Berichte über radioaktive Verwüstungen in Japan das eigene AKW-Geschäft in Misskredit bringen? Angeblich gibt es jetzt alle Optionen im Siemens-Vorstand - auch den Ausstieg.

Entnervt mit den Russen angebändelt

Offiziell gibt der Konzern keinen Kommentar. Siemens müsse erst mal den Ausgang eines Schiedsgerichtsverfahrens mit dem Atomkonzern Areva abwarten. Die Münchner hatten sich 2001 mit den Franzosen liiert. Siemens beteiligte sich mit 34 Prozent an einer Gemeinschaftsfirma, ein Anteil, dessen Wert jüngst auf 1,62 Milliarden Euro taxiert wurde. Löschers Konzern war es aber leid, immer nur Juniorpartner zu sein. Man stritt über Projekte, etwa beim Bau des finnischen AKW Olkiluoto. Entnervt bändelte Manager Löscher mit den Russen an. Am 21. April nun sollen die Richter entscheiden, ob Siemens dabei gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen hat.

Inzwischen dürfte Löscher froh darüber sein, dass er mit Rosatom noch nicht weit gekommen ist. Die russische Holding bündelt Staatsbeteiligungen an rund 90 Firmen, die mit Kernkraft zu tun haben. Mit Siemens wollten die Staatsmanager Weltmarktführer werden und die drei Rivalen - General Electric, Toshiba/Westinghouse und Areva - endgültig abhängen. Rosatom hat seit 1990 bereits mit Siemens manches erschaffen, etwa die slowakischen Atommeiler Mochovce und Bohunice. Die Deutschen bieten dabei Leit- und Sicherheitstechnik.

"Alle zwei Wochen irgendwo ein neues Atomkraftwerk"

Doch schon seit einiger Zeit spricht man bei Siemens lieber über die 28 Milliarden Euro schwere Aufstellung unbestreitbar grüner Produkte. Erst recht nach dem Desaster in Japan. Zu einem klaren: "Atomkraft, nein danke" reicht es aber noch nicht. Niemand wolle den "anstehenden Areva-Schiedsspruch zu diesem Zeitpunkt negativ beeinflussen", so ein wichtiger Siemens-Mann. Das Thema sei tabu. Schließlich gehe es um die Konditionen des Ausstiegs und um Milliardenzahlungen, über die das Schiedsgericht urteilt. Man will das Geld nicht durch unbedachte Sätze gefährden.

Unrealistische Prognosen

Danach ist bei Siemens offenbar alles möglich - selbst ein Komplettausstieg. "Schon vor Japan war nicht klar, ob die Prognosen aufgehen werden und alle zwei Wochen irgendwo auf der Welt ein Atomkraftwerk gebaut wird", heißt es im Konzern. "Nach Japan kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es nicht so kommen wird. Sämtliche Prognosen zur Zukunft der Atomkraft waren unrealistisch."

In Arbeitnehmerkreisen würde ein Ausstieg begrüßt. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass mit dem Geschäftsfeld erneuerbare Energien langfristig weitaus mehr Arbeitsplätze zu schaffen sind als mit dem Bau von Atomkraftwerken", heißt es hier. Hinzu kommt, dass man bei der IG Metall die Nukleartechnik ablehnt. "Atomenergie hat keine Zukunft", erklärt ein Grundsatzpapier. Die Haltung der Arbeitnehmer wird für Löscher zwar kaum ausschlaggebend sein, in den vergangenen Jahren aber war der Chef meist bemüht, die Beschäftigten bei strategischen Entscheidungen ins Boot zu holen. Selbst Analysten fürchten mittlerweile negative Folgen für das neue Image von Siemens - und verweisen auf General Electric (GE). Dort zählte man die Atomtechnik wegen der geringen CO2-Emissionen zum Umweltportfolio, das mit dem Schlagwort "Ecomagination" beworben wird - jetzt wird der US-Konzern mit Fukushima assoziiert. GE war am Bau der Reaktoren beteiligt.

Entschieden ist die Nuklearstrategie bei Siemens noch nicht. Sehr aktiv treibt man das Thema aber nicht voran. Die Konzernspitze verfolgt die Debatte. Dazu gehören Kommentare wie im Handelsblatt, das zum Ausstieg rät: "Noch kann sich Siemens elegant aus der Nummer verabschieden." Die Energiepolitik gebe "den Rahmen vor", heißt es im Umfeld Löschers. Je nachdem wie stark die Atomwirtschaft gebremst werde, könnten sich die Pläne ändern. Der Vorstandschef muss sehen, wie aus der Falle kommt.

Beredtes Fernbleiben

Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle. So will man im Hauptquartier am Wittelsbacher Platz den Partner Rosatom nicht vergraulen. Schließlich winken in Russland milliardenschwere Aufträge für den Aufbau einer modernen Infrastruktur. Siemens verkauft dort Hochgeschwindigkeitszüge, baut für die Olympischen Winterspiele in Sotschi Regionalbahnen und ist Partner für die grüne Modellstadt Skolkovo nahe Moskau. Im vergangenen Geschäftsjahr setzte Siemens in Russland 1,2 Milliarden Euro um, mehr als doppelt so hoch war das Auftragsvolumen. Als Ministerpräsident Wladimir Putin im November in Berlin über die deutsche Energiepolitik spottete ("Die Deutschen wollen kein russisches Gas und keine Atomkraftwerke - wollen sie wieder mit Holz heizen?") und zugleich Siemens als vorbildlichen Partner lobte, saß Löscher lächelnd daneben.

Was der Konzernchef wirklich über Atomkraft denkt - genau wissen wird man es erst nach der Scheidung von Areva. Schließlich hatte er zunächst das Geschäft mit der Nukleartechnik wiederbelebt. Einst war Siemens über die Kraftwerkunion (KWU) am Bau fast aller deutschen AKW beteiligt, doch dann kam unter Rot-Grün der Ausstieg aus der Kernenergie. Auch Siemens reduzierte.

Vielleicht lohnt ein Rückblick auf den August 2010, um zu ergründen, ob Löscher erneut einen Schwenk wagt. Damals lancierte RWE-Chef Jürgen Großmann eine Pro-Atom-Kampagne. 40 Manager und Politiker unterzeichneten einen "Energiepolitischen Appell", auch Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Löscher unterschrieb nicht.

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