Ausgerechnet bei seiner letzten Jahrespressekonferenz muss sich Joe Kaeser mit einer Kamera unterhalten, wer hätte das gedacht. Ausgerechnet der Siemens-Chef, der sonst so sehr gerne Hof hält, in kleinen Gruppen in der Mitte steht, dabei die Welt und vor allem Siemens erklärt, sitzt heute mit seinen Vorstandskollegen wie sonst auch an einem langen Tisch. Nur eben ohne Menschen davor. Aber so ist das nun mal in Corona-Zeiten. Kaeser sagt, die Entwicklung könne man "mit gutem Gewissen als bemerkenswert bezeichnen". Wenn auch die Dramaturgie nicht nach seinem Geschmack sein dürfte, zumindest die Zahlen stimmen. Unterm Strich sank der Gewinn zwar um ein Viertel, lag aber immer noch bei 4,2 Milliarden Euro - weil es in weiten Strecken grundsätzlich ein Horrorjahr für die Wirtschaft war, ist Kaeser mit dem Ergebnis ganz zufrieden.
Vor allem aber ist der Mann, der Siemens in den vergangenen Jahren auseinandergenommen hat wie niemand vor ihm, mit seinem Lebenswerk zufrieden. Zuerst die Abspaltung und der Börsengang der Medizintechniktochter Healthineers, in diesem Jahr dann die Aufspaltung des Konzerns in Siemens Energy, das an die Börse gegeben wurde, und eine Art digital-industrielles Rest-Siemens. Und jetzt noch der Milliardenverkauf der Getriebetochter Flender. Kaeser hat Siemens zerlegt - "gerade noch rechtzeitig", findet er heute.

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Der "Übergang von einem schwer berechenbaren und undurchsichtigen Konglomerat" zu einem "fokussierten und transparenteren Unternehmen mit einer klaren Struktur von Verantwortung und Verantwortlichkeit" sei dringend notwendig gewesen, sagt er heute im Rückblick. Natürlich muss die Spaltungsstrategie jetzt aufgehen. Es ist einfacher, so einen Milliardenkosmos wie Siemens aufzuteilen, als - sollte es am Ende doch dumm laufen - die Einzelteile hinterher wieder zusammenzukriegen.
Ein zufriedener Rückblick, ein optimistischer Blick nach vorn
Als Kaeser 2013 den damaligen Siemens-Chef Peter Löscher ablöste, versprach er, den Konzern "in ein ruhiges Fahrwasser" zu bringen. Das mit dem Fahrwasser mag stimmen - aber ruhig? Bei so viel Veränderung? Man habe "im Laufe der Jahre eine wirklich gute und besonders zuverlässige Erfolgsserie geliefert", sagt er. "Es hätte mehr sein können, vielleicht sogar sollen, aber vielleicht nicht unbedingt müssen." Ein klassischer Kaeser-Satz. Sollen andere über sein Lebenswerk urteilen, für ihn ist es okay.
Ein zufriedener Rückblick, ein optimistischer Blick nach vorn: "Die Pandemie wird auch ein Ende haben, die Chancen werden wieder kommen", glaubt er. Nicht nur Corona besiegt, sondern auch US-Präsident Donald Trump. Kaeser gratuliert Joe Biden noch nicht explizit, erst mal solle man abwarten, "bis sich der Nebel gelichtet hat". Aber: Der neu gewählte US-Präsident stehe für Nachhaltigkeit, damit ergäben sich "große Chancen für unser Unternehmen". Für den Siemens-Konzern, der weltweit seine Geschäfte macht, ist es wichtig, dass die Beziehungen zu den USA stimmen. Allerdings: "Wer glaubt, dass sich die Beziehungen zu China entspannen, der wird enttäuscht werden."
Am Ende wird Kaeser gefragt, wie das dann eigentlich Anfang Februar werden soll. Am Tag der Hauptversammlung wird der 63-Jährige, der seit 40 Jahren bei Siemens arbeitet, das Amt endgültig an seinen Nachfolger Roland Busch übergeben. Eigentlich wäre das der perfekte Tag für die große Abschiedssause und stehende Ovationen in der Olympiahalle - jetzt aber muss auch diese Großveranstaltung wegen Corona virtuell stattfinden. Kaeser, der Philosoph des Alltags, denkt kurz nach. Dann sagt er, dass ihm wichtig sei, "was bleibt, und nicht, was vergänglich ist". Und Standing Ovations seien eben doch irgendwie vergänglich. Denn "wenn die Leute aufstehen, setzen sie sich ja auch wieder".