Es ist der mit Abstand größte Auftrag für Siemens in der 175-jährigen Unternehmensgeschichte: In Ägypten sollen die Münchner ein neues Hochgeschwindigkeitsbahnnetz aufbauen, dort wird künftig also eine modifizierte Variante des deutschen ICE verkehren. Siemens baut seit Jahrzehnten den deutschen Schnellzug und exportierte das Konzept bereits in mehrere Länder. So verkehren Züge vom Typ Velaro, wie die ICE-Plattform bei Siemens heißt, etwa in Spanien oder Russland. Mit der Order aus Nordafrika wird der ICE endgültig zum Exportschlager.
Der Auftragswert aus Ägypten für Siemens liege bei 8,1 Milliarden Euro, teilte das Unternehmen am Wochenende mit. Geplant sei der Bau eines 2000 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsnetzes. Die Bahnsparte des Unternehmens, die Siemens Mobility heißt, werde 41 Hochgeschwindigkeitszüge, 94 Regionalzüge und 41 Güterlokomotiven liefern. Der Vertrag beinhalte auch Bahninfrastruktur, acht Betriebs- und Güterbahnhöfe sowie einen Wartungsvertrag über 15 Jahre. Konsortialpartner von Siemens bei dem Projekt sind Orascom Construction, eine ägyptische Bau-, Telekommunikations- und Hotelgruppe, und The Arab Contractors, ein ägyptischer Baukonzern mit Hauptsitz in Kairo. Die technische Federführung liegt bei Siemens.
Es ist eine prestigeträchtige Mega-Order - und der bislang größte Erfolg für Roland Busch, der seit Februar 2021 Vorstandsvorsitzender von Siemens ist. "Wir sind stolz darauf, Ägyptens Ambitionen zu unterstützen, das sechstgrößte Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnsystem der Welt zu schaffen, das etwa 90 Prozent der Ägypter Zugang zu sicheren, sauberen und erschwinglichen Verkehrsmitteln verschafft", teilte Busch auf Twitter mit. Der Siemens-Chef unterschrieb den Vertrag zusammen mit Kamel al-Wazir, dem ägyptischen Verkehrsminister. Anwesend war auch der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der autoritäre und umstrittene Herrscher kam 2013 per gewaltsamem Staatsstreich an die Macht.
Die deutsche Regierung unterstützt das Projekt
Al-Sisi sprach von einer "fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Ägypten und Deutschland im Bereich der Infrastruktur". Das Projekt stelle "den Beginn einer neuen Ära für das Eisenbahnsystem in Ägypten, Afrika und im Nahen Osten dar". Bundeskanzler Olaf Scholz habe eine Videobotschaft geschickt, in der er die Unterstützung Deutschlands für das Projekt und dessen Bedeutung für die bilateralen deutsch-ägyptischen Beziehungen und den globalen Klimaschutz hervorhob, teilte Siemens mit.
Es werde ein von Grund auf neues und komplettes Schienennetz entwickelt, das der gesamten Region als Blaupause für ein nachhaltiges und modernes Verkehrssystem dienen soll, sagte Michael Peter, der Chef der Siemens-Bahnsparte. Die Münchner hoffen nun also durchaus auf neue Aufträge aus der Region.
Der TGV von Alstom funktioniert anders als der ICE
Der Großauftrag ist auch eine Art endgültiges Comeback der Siemens-Bahnsparte. Busch-Vorgänger Joe Kaeser wollte Siemens Mobility eigentlich mit dem französischen Konkurrenten Alstom fusionieren und an die Börse bringen. Zusammen sollten Siemens und Alstom dem Weltmarktführer CRRC aus China Konkurrenz machen. Doch das scheiterte am Widerstand der EU-Kommission. Alstom produziert mit dem TGV das Konkurrenzprodukt zum deutschen ICE, das Konzept ist unterschiedlich. Beim ICE sind die Antriebsmotoren über den gesamten Zug verteilt, das Konzept gilt als effizienter. Beim TGV gibt es dagegen eigene Triebwagen und doppelstöckige Waggons, der Zug ist schneller unterwegs. International ist der ICE bislang erfolgreicher.
Siemens Mobility stellt neben Schnellzügen auch U-, Straßen- und S-Bahnen her und bietet ganze Bahnsysteme an. Der Umsatz lag zuletzt bei 9,2 Milliarden Euro mit fast 40 000 Mitarbeitern. Siemens insgesamt kommt auf einen Umsatz von 62,3 Milliarden Euro. Busch betonte zuletzt, dass die Bahnsparte Teil des Konzerns bleibe.
Geplant ist unter anderem ein "Suezkanal auf Schienen"
Das 2000 Kilometer lange Siemens-Hochgeschwindigkeitsbahnnetz werde 60 Städte in Ägypten miteinander verbinden, hieß es. Es solle am Ende bis zu 500 Millionen Fahrten im Jahr ermöglichen. Insgesamt soll es drei Strecken geben: Den bereits angekündigten "Suezkanal auf Schienen", eine 660 Kilometer lange Strecke zwischen den Hafenstädten Ain Souchna am Roten Meer und Marsa Matruh sowie Alexandria am Mittelmeer. Eine zweite Strecke mit 1100 Kilometern verbindet Kairo mit Abu Simbel nahe der Grenze zum Sudan. Die dritte Strecke wird mit 225 Kilometern von Luxor nach Hurghada am Roten Meer führen. Insgesamt sollen 40 000 direkte Arbeitsplätze in Ägypten und weitere 6700 Stellen bei ägyptischen Lieferanten und indirekt in anderen Wirtschaftszweigen entstehen.