Süddeutsche Zeitung

Siemens-Hauptversammlung:Siemens-Chef lächelt die Proteste weg

  • Werksschließungen in Deutschland, Investitionen in den USA: Die Kritik der Siemens-Mitarbeiter an ihrem Chef wird lauter.
  • Kaeser will sich von den Demonstrationen bei der Hauptversammlung "nicht provozieren lassen". Er spricht lieber über den gestiegenen Gewinn.

Von Caspar Busse und Thomas Fromm, München

Schon vor der Halle grüßt Joe Kaeser. Er sitzt auf einer überdimensionalen Presse und drückt. Unten sind kleine bunte Menschen, die dann zur Seite in eine rote Plastikbox fallen. Auf der anderen Seite liegt ein hoher Berg von Geldscheinen. Mitarbeiter hatten die Figur aus Pappmaschee gefertigt, die Besucher der Siemens-Hauptversammlung machen halt und zücken ihre Smartphones, um Fotos zu machen. Der Siemens-Chef als Menschenschinder - eine Figur wie vom Rosenmontagsumzug.

Drinnen in der Münchner Olympiahalle steht der echte Joe Kaeser und versucht, seine Strategie zu rechtfertigen. Die Kritik am Kurs des Vorstandsvorsitzenden wird immer lauter: Siemens baut in Deutschland Jobs ab, stellt Standorte etwa in Erfurt oder in Görlitz zur Disposition. Gleichzeitig sitzt Kaeser beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit US-Präsident Donald Trump zusammen, lobt dessen Politik und verspricht, künftig Gasturbinen in den USA zu entwickeln. Das alles kommt nicht gut an. Kaeser rechtfertigt sich: Vor einem Jahr sei er einer der wenigen gewesen, die Kritik an Trump artikuliert hätten. "Ich fühle mich jetzt nicht schlecht dabei, dem Präsidenten zu seiner Steuerreform zu gratulieren."

Die Zahlen, die Siemens für das abgelaufene Quartal präsentiert, sind gut und schlecht zugleich. Die Aufträge haben um 14 Prozent zugenommen, der operative Gewinn im industriellen Geschäft ging gleichzeitig um 14 Prozent zurück, vor allem wegen der Probleme im Kraftwerksbau. Unter dem Strich stand jedoch ein um zwölf Prozent höherer Gewinn von 2,2 Milliarden Euro. Der Grund: Er wurde durch den Verkauf der restlichen Aktien an der ehemaligen Lichttechnik-Tochter Osram für 655 Millionen Euro und erste positive Effekte der US-Steuerreform begünstigt. "Das kann sich sehr gut sehen lassen. Insgesamt ist Siemens in einer sehr guten, sehr robusten Verfassung", glaubt Kaeser. Und dann sagt er noch: "Man kann den Schwächeren nur helfen, wenn man selber stark ist." Das war auf die Kollegen aus Görlitz und anderswo gemünzt. Zum Protest der Mitarbeiter sagt er: "Wir werden uns davon weder beirren noch provozieren lassen."

Mitarbeiter beklagen schlechte Kommunikation

Nur: Das sehen vor allem die betroffenen Mitarbeiter und die Demonstranten draußen vor Halle anders. "Ich bin Siemens" steht auf dem Plakat, dass die Siemensianer aus dem Generatorenwerk Erfurt hochhalten. Auf dem Weg zur Olympiahalle bilden die Demonstranten ein Spalier, rechts und links stehen sie, halten Plakate hoch und machen mit Trillerpfeifen Lärm.

Trump in Davos - wie finden das die Mitarbeiter, wenn ihr Chef Joe Kaeser dem US-Präsidenten Versprechungen macht, wenn gleichzeitig Standorte wie das Dampfturbinenwerk in Görlitz geschlossen werden sollen? "In den Leuten ist etwas kaputt gegangen", sagt Jan Olhöft, Betriebsrat aus Offenbach. Allerdings: "Das mit Davos bringt uns weniger auf die Palme als die Art und Weise, wie schlecht mit uns kommuniziert wird." Seine Kollegin sagt: "Es geht um unsere Arbeitsplätze, es ist ein Armutszeugnis."

Ein paar Meter weiter stehen die Kollegen aus dem Industriedampfturbinenwerk Görlitz. Sie haben Tonnen vor sich stehen, darauf liegen große Gummihammer. Es sieht nicht so aus, als würden diese Leute die Entscheidungen des Managements einfach so schlucken. Dass der Vorstand sagt, ihr Werk sei nicht mehr ausgelastet und nicht rentabel? "Wir sind weit weg vom Däumchendrehen", sagt einer.

Görlitz, das spürt auch Joe Kaeser selbst, ist seine Schwachstelle. Und doch kommt es für alle überraschend, als der Siemens-Chef kurz vor Beginn der Hauptversammlung eine Lösung für den ostdeutschen Standort ins Spiel bringt. Man brauche jetzt ein "Industriekonzept Oberlausitz", sagt Kaeser als er noch in der Halle steht. Das Turbinenwerk könne eigenständiger werden, ohne den Siemens-Konzern zu verlassen, um dann zu einem späteren Zeitpunkt in einem Industrie-Verbund aufzugehen. Allerdings müssten dabei auch Bundes- und Landesregierung mitmachen.

Für Kaeser hängt jetzt vieles ab vom Standort in Sachsen. Kriegt er das Thema Görlitz nicht in den Griff, nützen ihm die höchsten Renditen nichts. Auch deshalb lässt er sich noch kurz vor dem Aktionärstreffen noch mit Beschäftigten aus Görlitz fotografieren, die die mehr als 500 Kilometer lange Strecke nach München mit dem Fahrrad gefahren sind. Nähe ist wichtig in diesen Zeiten.

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