Süddeutsche Zeitung

Siemens gegen GE:Kampf um Alstom

Im Gezerre um das französische Traditionsunternehmen Alstom geht es um persönliche Befindlichkeiten - und um große Politik. Konzernchef Kron dient sich GE an und will Fakten schaffen. Die sozialistische Regierung setzt auf Siemens.

Von Leo Klimm, Paris

Frankreichs Regierung hat klare Vorstellungen. Ausgerechnet der deutsche Konzern Siemens soll seinen alten französischen Erzrivalen Alstom retten. Ihn bewahren vor dem Ausverkauf der wichtigsten Alstom-Sparte, der Energietechnik, an den US-Riesen General Electric (GE). Für die Franzosen ist Alstom eine nationale Ikone: "Alstom ist das Symbol unserer industriellen Kraft und französischer Ingenieurskunst", sagt Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg mit gewohntem Pathos.

Und falls dieses Unternehmen aus finanzieller Not nun wirklich seine franko-französische Identität verlieren muss, dann lieber an einen deutschen Wettbewerber. "Es geht darum, zwei europäische und Welt-Champions auf den Gebieten Energie und Verkehr zu erschaffen", sagt Arnaud Montebourg zu einem möglichen Geschäft mit Siemens.

Wie die Zeiten sich ändern: Vor zehn Jahren, als Alstom vor der Pleite stand, hatte Frankreich alles getan, um eine Übernahme durch Siemens zu torpedieren. Der Staat zog es vor, mit eigenem Geld die nationale Unabhängigkeit des Industriekonzerns zu sichern. Patrick Kron aber, der damals schon Alstom-Chef war, ist seit dieser Zeit ein Siemens-Feind. Bis heute trägt der Vertraute von Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy es den Deutschen nach, damals auf die Zerschlagung seines Konzerns hingearbeitet zu haben. Und so kommt es, dass in dem Gezerre um Alstom auch heute wieder persönliche Befindlichkeiten und große Politik eine entscheidende Rolle spielen. Mit dem wichtigen Unterschied, dass der französische Staat sich auf die Seite von Siemens geschlagen hat.

Heftiger Kampf an der Wirtschaftsspitze

Deshalb sind auch Kron und Montebourg jetzt Feinde, und die Pariser Wirtschaftswelt erlebt tolle Tage. Am Wochenende lieferten sich die beiden einen ebenso seltsamen wie heftigen Kampf: Der Alstom-Chef tat alles, um beim Verkauf seiner Energiesparte an GE möglichst schnell Fakten zu schaffen. Nach einer ersten Sitzung des Verwaltungsrats am Freitag sollte dieser am Sonntagabend erneut zusammenkommen - um das Geschäft schnell abzusegnen. Doch die Verwaltungsräte taten Kron den Gefallen nicht. Man werde weiter über die Strategie nachdenken - und sich bis Mittwochmorgen erklären, hieß es in einer Mitteilung Alstoms von Sonntagabend. Bis dahin habe man die Aussetzung der Aktie vom Börsenhandel beantragt. Die Überrumpelungsstrategie Krons hat nicht funktioniert.

Der politische Aktionismus und die Siemens-Offerte haben offenbar Eindruck gemacht. Wirtschaftsminister Montebourg hatte auch einiges getan, um Kron auszubremsen. GE und Alstom mögen dem Timing ihrer Aktionäre folgen, "aber die französische Regierung hat ihren eigenen Kalender, nämlich den der wirtschaftlichen Souveränität", erklärte er, und erinnerte Kron in einer kaum verhohlenen Drohung daran, dass Alstom nicht zuletzt von Staatsaufträgen lebe. Er erwarte, dass der Verwaltungsrat "sämtliche Angebote" prüfe. Siemens hatte Montebourg unterdessen mit Nachdruck ermuntert, ein Gesprächsangebot an Alstom zu erneuern, mit dem Konzernchef Joe Kaeser am 10. Februar bei Kron abgeblitzt war.

Ein deutsch-französisches Geschäft entspräche viel eher der Idee von Präsident François Hollande, einen "Airbus für Energie" zu schaffen. Dafür, dass die europäische Technologieführerschaft in der Energietechnik faktisch bei Siemens läge, würde in Montebourgs Plan aus Alstom im Gegenzug ein "Schienen-Airbus". Offensichtlich vertraut Paris darauf, dass die Deutschen beim unvermeidlichen Abbau von Doppelstrukturen mehr Rücksicht auf französische Interessen nähmen als die Amerikaner - zumal die Franzosen in einem Tauschgeschäft selbst ein Druckmittel gegen Siemens bekämen.

Nach einem eiligen Ministertreffen am Sonntag hat die Regierung in Paris für Montag eine Erklärung zu Alstom angekündigt.

Die unpopuläre Regierung will den Eindruck zerstreuen, sie sehe dem Ausverkauf tatenlos zu

Die ohnehin unpopuläre sozialistische Regierung will unbedingt den Eindruck zerstreuen, sie sehe dem Ausverkauf von Know-how und dem Verlust von Jobs tatenlos zu. Nicht nur, weil Alstom 18 000 Menschen in Frankreich beschäftigt, die Stromnetze des Landes aufgebaut hat und bei Schnellzügen oder Wasserturbinen zur Weltspitze gehört. Montebourg und Hollande brauchen bei Alstom auch einen Erfolgsnachweis ihrer Industriepolitik, nachdem sie kürzlich schon nicht verhindern konnten, dass der Autokonzern Peugeot und der Zementmischer Lafarge unter ausländischen Einfluss gerieten.

Der politische Druck, das als strategisch definierte Unternehmen Alstom nicht in fremde Hände fallen zu lassen, ist enorm. Und er kommt von allen Seiten: Die Gewerkschaften fordern, GE mithilfe einer Teilverstaatlichung auszubooten. Ein linker Ex-Minister, der in seinem Wahlkreis ein großes Alstom-Werk hat, warnt vor einem "fatalen Schlag gegen die Unabhängigkeit der Nuklearbranche". Der rechtsextreme Front National wirft der Regierung gar vor, sie lasse Alstom von Amerikanern und Deutschen "ausschlachten".

Alstom-Chef Kron wurde in den Élysée-Palast zitiert. Branchenkreisen zufolge war er es selbst, der GE den Kauf der Alstom-Energiesparte antrug. Zehn Jahre nach der ersten Rettung muss er angesichts hoher Schulden und wegbrechender Aufträge ein neues Cash-Problem abwenden. Eine Geldspritze vom Staat lehnt er diesmal ab: "Das steht nicht auf der Tagesordnung", sagte Kron vor ein paar Wochen. Damals hatte er wohl schon mit GE einen Investor an der Hand, der fast zehn Milliarden Euro in bar bieten will. Abgesehen davon, dass Alstom nicht so urfranzösisch ist, wie viele glauben: Das Vorgänger-Unternehmen wurde 1893 als Filiale einer US-Firma gegründet - General Electric.

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SZ vom 28.04.2014/kfu
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