Süddeutsche Zeitung

Siemens Energy:Aktienkurs schlecht, keine Dividende - und Windkraft läuft auch nicht

Siemens Energy muss seinen Aktionären einiges erklären: Der Konzern hat über eine halbe Milliarde Euro Verlust in drei Monaten gemacht. Schuld ist das Geschäft mit der Energiewende.

Von Thomas Fromm

Zu den Vorteilen einer virtuellen Hauptversammlung wie dieser gehört es, dass die Zuschauer, in diesem Fall sind das die Aktionärinnen und Aktionäre, die Bildästhetik schon aus dem Fernsehen kennen. Siemens-Energy-Chef Christian Bruch steht in einer Art Fernsehstudio, dahinter eingeblendet die drei Themen des Jahres 2022: ein Kriegsmotiv, eine Inflationskurve, ein Pandemie-Symbolbild. Aus dem Vorstandsvorsitzenden wird so gleich mal eine Art Tagesthemen-Moderator, das vermittelt Objektivität und Seriosität und ist hilfreich für das, was gleich noch kommt. Der schlechte Aktienkurs, keine Dividende, und die großen, schon chronischen Probleme im Zukunftsgeschäft mit Windkraft, der Turbinentochter Siemens Gamesa.

Im ersten Quartal hat der Konzern wegen der Verluste der spanischen Windturbinen-Tochter Siemens Gamesa einen Verlust von mehr als einer halben Milliarde Euro eingefahren - ausgerechnet im zukünftigen grünen Kerngeschäft, das man ja für die Energiewende dringend braucht. Das geht jetzt schon seit Jahren so, und es hört nicht auf. Im Studio-Hintergrund erscheint eine Windturbine auf offener See, dabei verspricht Bruch schwarze Zahlen für 2025. Bis dahin dauert es allerdings noch eine Weile. Die Strategie gegen die Wind-Krise: Siemens Energy will Gamesa jetzt von der Börse holen und komplett übernehmen. Eine teure Aktion, aber "unausweichlich", wird ein Aktionärsvertreter später sagen. Durchregieren und "Gamesa wieder auf Kurs bringen", so soll es weitergehen.

Fossil ist Vergangenheit, Wind ist Zukunft, und das eingespielte Hintergrundbild mit der Forderung "Die Chancen der Energiewende nutzen" würde daher jeder hier unterschreiben. Möglich aber auch, dass es nicht alle sehen - immer wieder gibt es zwischendurch technische Übertragungsprobleme. Richtig ungeduldig aber werden die Aktionäre wegen Gamesa. Bevor sie dann das Wort haben, bittet der Aufsichtsratsvorsitzende Joe Kaeser in den "virtuellen Warteraum." Dunkler Anzug, weißes Hemd, graue Krawatte, auch er ganz der Anchorman. Er hatte sich gleich zum Auftakt bei den über 90 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für das "Vertrauen auch in schwieriger Zeit" bedankt und gesagt: "Wir blicken zuversichtlich nach vorne." Nach vorne schauen ist immer gut, aber einige schauen an diesem Tag auch nach hinten, und da lief es nicht gut.

Nachdenken über ein verlorenes Jahr

Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, spricht von einem "verlorenen Jahr 2022". Der Aktienkursverlauf gleiche "einer Achterbahnfahrt, die viele Nerven kostete". Die Probleme der Tochter Siemens Gamesa hätten sich "leider ausgeweitet und nicht verringert", der Vorstand scheine "eher wie Don Quichote gegen Windmühlen zu kämpfen, als mit ihnen Geld zu verdienen". Seit der Abspaltung vom Siemens-Konzern mit anschließendem Börsengang im Jahre 2020 sei Siemens Energy Vera Diehl zufolge "eine Großbaustelle". Diehl ist Portfoliomanagerin bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken.

Hohe Kosten, Verzögerungen und "schlechtes Produktmanagement" seien "hier auf der Tagesordnung", sagt auch Speich. Inflation? Pandemie? Krieg? Alles Riesenprobleme für einen großen Energietechnikkonzern. Aber dass die spanische Tochter Gamesa nicht vom Fleck kommt, habe auch noch einen ganz anderen Grund, sagt Speich. Und vielleicht ist es ja ein kleiner Tabu-Bruch, bei einer solchen Hauptversammlung nicht nur von Lieferketten, steigenden Rohstoffpreisen und von Strategien, sondern auch von Kulturen zu sprechen. Der Aktionärsvertreter tut es, er spricht von einem "Kulturproblem" zwischen Spaniern und Deutschen. "Gamesa kommt aus einer Welt der hohen Flexibilität und Kostenkontrolle. Der Siemens-Konzern hingegen setzt auf Qualitätsaspekte und in Teilen auch auf behäbige Strukturen."

Später dann meldet sich die "Fridays-for-future"-Aktivistin Luisa Neubauer zu Wort. Es sieht häuslich aus, die Kamera zeigt ein Sofa im Hintergrund. Der Konzern täusche die Öffentlichkeit, immer noch viel zu viele fossile Geschäfte, zu viel Kohlendioxid. Und auch aus dem Geschäft in Russland sei man nicht "konsequent" ausgestiegen, sondern arbeite weiterhin mit dem "kriegerischen" russischen Unternehmen Rosatom zusammen, sagt sie.

Die Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt von der deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW steht vor einer weißen Wand und stellt die Frage, die sich hier viele stellen: Corona sei zwar noch immer Teil des Lebens, aber eben doch keine Bedrohung mehr. Warum also eine virtuelle Hauptversammlung, jetzt im Jahre 2023? Virtuell zugeschaltet werden, virtuell Fragen zu stellen - alles schön und gut. "Das ist aber meiner Ansicht nach ein Recht, das nur sehr privilegierte Aktionäre wirklich nutzen werden", sagt Bergdolt.

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