Siemens:Die nächste Abspaltung

Siemens: Nicht nur auf den ersten Blick eine ziemlich technische Angelegenheit: Ein Rollenpressenantrieb von Flender.

Nicht nur auf den ersten Blick eine ziemlich technische Angelegenheit: Ein Rollenpressenantrieb von Flender.

(Foto: Hersteller/Bearbeitung SZ)

Siemens könnte seine Getriebetochter Flender schon bald an einen Finanzinvestor verkaufen.

Von Thomas Fromm, München

Es war im Jahr 2005, als Siemens seine Getriebetochter Flender dem heute größtenteils vergessenen Unternehmen Babcock Borsig abkaufte, und die Welt war damals eine andere. Vor allem die Siemens-Welt. Man kaufte ständig neue Geschäftsbereiche dazu, und manchmal verkaufte man auch ganze Sparten. Im gleichen Jahr 2005 zum Beispiel das kriselnde Handygeschäft. Insgesamt aber glaubte man, dass ein Konzern wie Siemens alles Mögliche unter einem Dach machen kann und machen sollte - man muss es eben nur richtig organisieren. Rein, raus, rein, raus - das Industriekonglomerat war ein ständiges Laboratorium, in dem vieles versucht wurde, und auch der Bocholter Getriebespezialist Flender gehörte zu dieser großen Versuchsanordnung. Ein weltweit führender Anbieter von mechanischer und elektrischer Antriebstechnik, der noch dazu sein Geld mit Getrieben für Windkraftanlagen verdiente, da sagte man sich in München: Ok, das brauchen wir!

Bis jetzt. Hinter den Kulissen bereitet der Konzern gerade den Verkauf des Tochterunternehmens aus Nordrhein Westfalen vor; und es sei nicht ausgeschlossen, dass schon in den kommenden Tagen eine Entscheidung fallen werde, heißt es in Industriekreisen. Siemens selbst will die Sache nicht kommentieren. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, der Finanzinvestor Carlyle stehe kurz davor, für rund zwei Milliarden Euro das Unternehmen aus Bocholt am Niederrhein zu bekommen. Sollte dies der Fall sein, dann hätte Siemens am Ende sogar noch einen ganz guten Schnitt gemacht.

Mit einem Kaufpreis von 1,2 Milliarden Euro war Flender keiner der ganz großen Brocken, wie man sie später in der Medizintechnik zukaufte. Und auch längst nicht so teuer wie der Milliarden schwere Einkauf des US-Turbinenbauer Dresser-Rand. Inzwischen aber sieht man die Dinge anders als vor 15 Jahren unter dem damaligen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. Der ursprüngliche Plan: Flender sollte im Zuge eines so genannten spin offs an die Börse gebracht werden, so wie man das schon neulich bei der Abspaltung des großen Energiegeschäfts gemacht hatte: Statt eines normalen Börsengangs wurden Siemens-Aktionären einfach neue Papiere von Siemens Energy ins Depot gebucht. Allerdings ist das mit der Börse in diesen Zeiten so eine Sache: Die Kurse gehen rauf und runter, Anleger sind wegen der Corona-Pandemie verunsichert und ob man morgen noch die Aktien eines Getriebeherstellers haben will, weiß gerade auch keiner so genau. Die Lösung: Statt sich auf einen langes Börsenprocedere einzulassen, legt man seine Ware einfach in die Vitrine und bietet sie zum Direktverkauf an.

So einen Deal kann man zur Not in einigen Wochen über die Bühne bringen. Börsengänge dagegen dauern lange, Monate bis Quartale. Was Flender nun zu einem attraktiven Kaufobjekt macht: Ausgerechnet der Verkäufer gehört zu den besten Kunden von Flender, für die Generatoren für Windkraftanlagen gibt es lang laufende Lieferverträge mit dem Windanlagenbauer Siemens Gamesa, der wiederum ein Tochterunternehmen von Siemens Energy ist.

Der Verkauf von Flender ist nun auch so etwas wie der - zumindest vorläufige - Schlusspunkt in einem jahrelangen Konzernumbau. Der scheidende Konzernchef Joe Kaeser, seit 40 Jahren im Unternehmen, hatte die Medizintechnik unter dem Namen Healthineers an die Börse gebracht. Dann kam die Trennung von der Energietechnik in diesem Jahr, bei der Siemens auch seine Mehrheit abgab. Übrig bleiben vor allem Geschäftsbereiche, die sich um Digitalisierung drehen, oder auch das Zuggeschäft. Flender jedenfalls, so die Meinung im Siemens-Vorstand, passe nach den jüngsten Abspaltungen nicht mehr zum verbleibenden Rest. Wie es nun weiter geht? Kaeser-Nachfolger Roland Busch hatte bereits klar gemacht, dass die große Zeit des Filetierens jetzt erst einmal vorbei sei. Was im Grunde auch praktische Gründe haben dürfte: Noch viel kleiner sollte der alte Siemens-Konzern nicht mehr werden. Denn irgendwann könnte es dann an die Substanz gehen.

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