Siemens:Das Ende des Telefons

Das Internet hat den Niedergang einer ganzen Branche eingeleitet.

Thorsten Riedl

Telefonieren in den 80er Jahren war so einfach. Der Fernsprechtischapparat - so hieß das Gerät - stand im Flur. Immer. Und kam aus deutscher Fabrikation, von Siemens etwa oder SEL. Ein Acht-Minuten-Gespräch ließ sich die Deutsche Bundespost mit 23 Pfennig bezahlen.

Mobiltelefone waren nur etwas für Wichtigtuer. Wer heute durch die Fußgängerzone geht, merkt, dass sich etwas verändert hat: an jedem Ohr ein Handy. Das Telefonieren unterwegs kostet jetzt weniger als früher ein Ferngespräch. Zu Hause schalten viele dann den Computer ein, um mit ihren Liebsten zu reden - denn Telefonate mit dem Rechner sind oft kostenlos.

Alle rüsten auf IP um

Die Revolution in der Telekommunikationsindustrie und der Preisverfall hinterlassen Spuren: Der Verlust von fast 7000 Stellen in der Kommunikationssparte von Siemens lässt sich darauf zurückführen, ebenso wie der Abbau von mehr als 30000 Jobs bei der Deutschen Telekom.

Auch die Ausrüster der Telefonnetze - allen voran Nokia-Siemens, Ericsson und Alcatel-Lucent - leiden: Die Firmen streichen Stellen, insgesamt fast 30.000. Die Branche befindet sich im tiefgreifendsten Wandel, seit das erste Telefonat vor mehr als 130 Jahren geführt wurde. Jedes Unternehmen, das nicht schnell genug darauf reagiert, wird vom Markt verschwinden. Für die Mitarbeiter kann es nur die Flucht nach vorne geben: in Form von Weiterbildung für die Telekommunikationswelt von morgen.

Alle Veränderungen, die sich beim Telefonieren zu Hause, unterwegs oder im Büro beobachten lassen, tragen im Ursprung ein Kürzel: IP - das steht für Internet Protocol und beschreibt die Regeln, die im Netz weltweit verbundener Computer bestehen. Über IP werden Daten transportiert, aber auch Gespräche, und das zu einem Bruchteil der bisher gewohnten Kosten bei gleicher Qualität. Alle Telefongesellschaften weltweit rüsten ihre Netze auf IP um.

Kommenden Dienstag startet in Hannover die Cebit. Auf der Leistungsschau der Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche wird zu sehen sein, wie IP-Netze das Telefonieren künftig weiter verändern. Im Büro der gar nicht allzu fernen Zukunft empfängt der Computer die Telefonate.

Wie die Dame im Vorzimmer kündigt der Rechner das Gespräch mit Name und etwa Firma des Anrufers an, indem er Daten im Adressbuch des Angerufenen mit der übermittelten Telefonnummer abgleicht. Keine Zeit? Kein Problem, denn am Computer lässt sich einstellen, wer durchgelassen wird. Das elektronische Sekretariat leitet auf Wunsch auf das Handy - oder die E-Mail. Entscheidend, so das neue Credo, sind die Inhalte, nicht das Medium.

Das Phänomen heißt im Jargon der Industrie Unified Communications und steht für das Zusammenwachsen der Kommunikationsmittel. Siemens hat den Trend früh erkannt und vor drei Jahren schon eine Vertriebspartnerschaft mit Microsoft geschlossen - aber eben nicht mit Nachdruck verfolgt.

Allen, die auf die neue Telekommunikationswelt zu langsam reagieren, droht ein ähnliches Schicksal wie der Krisensparte des Technikkonzerns. Künftig ist nicht mehr die Schaltelektronik in der Vermittlungsstelle oder im Apparat entscheidend, wesentlich an Einfluss gewinnt die Software im Rechner.

Gefragt sind nun auch in der Telefonbranche Computerfachleute und Programmierer, von denen die Intelligenz im Netz gesteuert wird. Nur, wer sich darauf vorbereitet, wird künftig in der Branche noch gefragt sein.

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