Süddeutsche Zeitung

Siemens-Chef Peter Löscher:Es gilt das gebrochene Wort

Verspätete ICE-Züge, Debakel im Solargeschäft, umstrittene Sparaktionen: Siemens-Chef Peter Löscher hat zu Beginn seiner zweiten Amtszeit mit Problemen zu kämpfen. Jetzt wagt der Kornzernlenker die Milliardenübernahme des britischen Bahnspezialisten Invensys.

Von Björn Finke

So ein Termin bereitet richtig Freude: Um einen herum große Weltenlenker, und dann fädelt man auch noch einen Milliardenauftrag ein. Peter Löscher unterzeichnete vor zwei Wochen im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Moskau eine Absichtserklärung darüber, 675 Elektroloks an die russische Staatsbahn zu liefern. Wird daraus eine Bestellung, hätte sie einen Wert von 2,5 Milliarden Euro.

An diesem Mittwoch stand für den Siemens-Chef ein weniger erfreulicher Termin an - und das hat ebenfalls mit Eisenbahnen zu tun. Der Aufsichtsrat des Technologiekonzerns mit 410.000 Beschäftigten tagte und ließ sich über das Geschäft informieren. Das heißt: auch über die verspätete Lieferung von ICE-Zügen und über das umstrittene Sparprogramm.

Löscher war 2007 als erster Siemens-Chef von außerhalb des Konzerns gekommen. Der Manager griff direkt durch: Er bereinigte die Korruptionsaffäre, verpasste Siemens eine neue Struktur, senkte die Kosten. Im Juli 2012 startete er nun seinen zweiten Fünf-Jahres-Vertrag. Und das ist ein ziemlich holpriger Start. Das Unternehmen erzielt immer noch hohe Gewinne, doch Mitarbeiter sind verunsichert, Kunden verärgert. Seinen eigenen Ansprüchen - und denen der Aktionäre - wird der 55-Jährige oft nicht gerecht. Das ist misslich für einen, der mit 7,9 Millionen Euro Einkünften zu den Spitzenverdienern im Dax gehört. 2011 waren es sogar 8,7 Millionen Euro. Gelingt ihm nicht die Wende, könnte sein zweiter auch sein letzter Siemens-Vertrag gewesen sein. Eine Zwischenbilanz - anhand alter Zitate.

Siemens verärgert Kunden, weil Großprojekte nicht fertig werden

Löscher sieht sich gerne als oberster Verkäufer seiner Firma. Jettet durch die Welt, trifft Kunden, fädelt Geschäfte ein. Doch das Vertrauen von Bahn-Chef Rüdiger Grube in den Handlungsreisenden dürfte angeknackst sein seit klar ist, dass es - anders als von Löscher persönlich versprochen - bei der Lieferung der bestellten ICE-Züge wieder eine Verspätung gibt. "Da setze ich auf das Wort von Peter Löscher", hatte Grube gesagt. Die Bahn ist wichtiger Kunde der Siemens-Sparte Infrastruktur & Städte, in der Löscher 2011 jene Bereiche bündelte, die Produkte für Metropolen, Versorger und Verkehrsunternehmen anbieten. Der Plan zahlt sich bisher nicht aus. Von allen vier Siemens-Sektoren verdient dieser am schlechtesten, und der Wert neuer Aufträge brach im abgelaufenen Geschäftsjahr, das im September endete, stark ein.

Die Verspätungen bei den Zügen sind aber nur Teil eines größeren Problems: Siemens verärgert immer wieder Kunden, weil Großprojekte nicht rechtzeitig fertig werden. Die Komplexität wird unterschätzt, bei Schwierigkeiten wird zu spät gegengesteuert. So kann der Konzern Windparks auf See nicht pünktlich ans Stromnetz anschließen - das bescherte Siemens bislang eine halbe Milliarde Euro an Belastungen. Immerhin greift Löscher hier durch: Die zuständigen Bereichsleiter für Bahnen und Stromübertragung wurden abgelöst und dürfen sich jetzt an anderer Stelle im Siemens-Reich bewähren.

Das Desaster bei der Verkabelung der Windparks dürfte Löscher besonders schmerzen, schließlich erhofft sich der Österreicher viel von der Energiewende. Im März warb er auf Anzeigen persönlich für das Jahrhundertprojekt, und Siemens bezeichnet der Manager gerne als "grünen Infrastruktur-Giganten". Den Umsatz mit ökologischen Produkten - etwa Windrädern oder besonders energiesparende Maschinen - will er kräftig steigern. Als er antrat, waren das 17 Milliarden Euro, nun hat Löscher 33 Milliarden Euro pro Jahr erreicht, 40 Milliarden sollen es 2014 sein.

Eine Erfolgsgeschichte, doch gab es auch Rückschläge. So zahlte Löscher vor drei Jahren 284 Millionen Euro für den Solarthermie-Spezialisten Solel. Das war ein Reinfall, Siemens zieht sich jetzt komplett aus der Solarenergie zurück - genau wie aus der Wüstenstrom-Initiative Desertec und aus dem Geschäft mit Wasseraufbereitung. Außerdem leidet die Windkraft-Sparte der Münchner darunter, dass Subventionen gekappt wurden und Hersteller aus China die Preise verderben. Deswegen streicht der Konzern im Windbereich in den USA und Deutschland Hunderte Jobs.

Der Rückzug aus Geschäftsfeldern lässt ein anderes Ziel von Löscher wieder in weitere Ferne rücken: Mittelfristig soll Siemens mehr als 100 Milliarden Euro Umsatz erzielen, im Moment sind es 78 Milliarden Euro. Die Zielmarke zu erreichen, wird dadurch erschwert, dass sich Löscher bei größeren Übernahmen lange zurückhielt. Er gab direkt nach dem Start bei Siemens fünf Milliarden Euro für eine US-Labordiagnostikfirma aus - das war deutlich zu teuer, wie sich zeigte. Seitdem beschränkten sich die Münchner über Jahre hinweg auf kleinere Zukäufe, die vielleicht nicht nennenswert Umsatz, aber interessante Technik ins Haus bringen. Allein 2011 und 2012 schluckte Siemens mehr als 50 Firmen.

Am Mittwoch beendete Löscher dann die selbst verordnete Diät: Siemens verkündete, für 2,2 Milliarden Euro die Bahntechniksparte des britischen Unternehmens Invensys zu erwerben, der größte Zukauf seit der Laborfirma. Der Bereich erzielt mit Signaltechnik eine Milliarde Euro Umsatz. Zugleich trennen sich die Münchner von 900 Millionen Euro Umsatz - Löscher will das Geschäft mit Sortier- und Gepäckabfertigungs-Anlagen verkaufen.

Stark zum erhofften Wachstum beitragen sollen auch die Schwellenländer. In Löschers Amtszeit entwickelte Siemens mehr Produkte, die auf die Bedürfnisse dieser Märkte zugeschnitten sind. Trotz solcher Bemühungen: Analysten sind von seinem 100-Milliarden-Ziel wenig begeistert. Sie glauben, dass das Management wegen der magischen Marke zu stark auf Wachstum und zu wenig auf Kosten geachtet hat. Die Siemens-Beobachter der Deutschen Bank fordern gar eine Schrumpfkur: Die Münchner sollten im großen Stil Geschäfte verkaufen. Die Firma sei zu groß, um vernünftig gesteuert werden zu können; die ständigen Belastungen durch fehlgeschlagene Projekte oder defizitäre Töchter seien ein Symptom dafür.

Sonderbelastungen sowie der Fokus auf Wachstum statt auf Kosten - dies waren auch die Gründe dafür, dass im abgelaufenen Geschäftsjahr die Gewinnmarge deutlich sank. Das Management investierte weiter und baute Stellen auf, als schon klar war, dass ein Abschwung bevorsteht. Die Quittung: Von jedem Euro Umsatz blieben keine zehn Cent mehr als Betriebsgewinn hängen. Als Löscher bei Siemens anfing, war es ähnlich wenig. Er verordnete ein Sparprogramm und strich fast 17.000 Stellen, viele davon in der Verwaltung. "Es geht jetzt um die Lehmschicht - vor allem das obere und mittlere Management", sagte Löscher damals. Außerdem straffte er die Struktur des Konzerns und gab den Leitern der Geschäftsbereiche mehr Verantwortung: "CEO-Prinzip" nennt er das.

Das zahlte sich aus. Siemens holte den ewigen US-Rivalen General Electric (GE) erstmals bei der Gewinnmarge ein; Löscher verkündete 2010 stolz, auf Augenhöhe mit GE zu sein. Doch nun ist der Hobby-Bergsteiger zum Anfang des Weges zurückgekehrt, die Marge dümpelt auf dem traurigen Niveau von früher. Bis 2014 will der Österreicher erreichen, dass wieder mindestens zwölf Cent von jedem Euro Umsatz als Betriebsgewinn hängen bleiben - dies ist das Niveau der wichtigsten Rivalen. Dafür sollen die Kosten um sechs Milliarden Euro sinken, zudem werden Randgeschäfte verkauft - wie eben die Sortieranlagen.

Doch bewies Löscher bei der Trennung von der Tochter Osram keine glückliche Hand. Im März 2011 wurde ein Börsengang angekündigt, aber der richtige Zeitpunkt verpasst. In seiner Not verschenkt Löscher jetzt einen Großteil der Osram-Anteilsscheine an die Siemens-Aktionäre.

Bei der Belegschaft kommt der Sparkurs nicht gut an - und auch nicht die Ungewissheit darüber, in welchen Bereichen Stellenabbau oder gar ein Verkauf droht. "Der Vorstand verfolgt eine Scheibchentaktik", klagt Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender Lothar Adler. Ihm geht Löschers neue Kosten-Nummer zu weit: "Margendenken überlagert alles, über Innovationen wird kaum noch geredet", sagt Adler der SZ.

Dabei hatte der Manager erklärt, die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat fänden sein Programm prima. Vielleicht rührt Löschers exklusive Interpretation daher, dass er eigentlich einen vertrauensvollen Umgang zur Gewerkschaft pflegt. IG-Metall-Vorsitzender Berthold Huber ist stellvertretender Aufsichtsrats-Chef, mit ihm arbeitet Löscher eng zusammen. Dabei war das Verhältnis zwischen IG Metall und Management einst zerrüttet, nachdem herausgekommen war, dass Siemens früher die Konkurrenzgewerkschaft AUB gesponsert hat, um der IG Metall zu schaden.

Noch hat Löscher also viele Freunde im Aufsichtsrat. Ob das so bleibt, hängt von den Ergebnissen der nächsten Monate ab.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2012/olkl
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