Süddeutsche Zeitung

Siemens-Chef Löscher:Verpuffte Energie

Die Führungskrise bei Siemens klingt nach Chaos, rasantem Kursverfall und Panik an den Börsen. Tatsächlich aber sehen Analysten das Unternehmen ziemlich gut aufgestellt - wenn nur die schlechte Kommunikation nicht wäre.

Von Pascal Paukner

4,6 Millionen Menschen leben in Riad, der Haupstadt Saudi-Arabiens. Noch verfügt die Wüstenmetropole über keinen nennenswerten öffentlichen Nahverkehr. Doch das soll sich bald ändern. Für 22,5 Milliarden Dollar lässt die Regierung im Untergrund ein weitreichendes U-Bahn-Netz bauen. Gute Nachrichten für die Einwohner Riads also. Es sind aber auch gute Nachrichten für Siemens.

Das Münchner Unternehmen ist an einem der drei Baukonsortien beteiligt, die das Infrastrukturprojekt stemmen sollen. Es ist ein Prestigeprojekt für das Unternehmen. Prestige ist es auch, was Siemens in der Führungskrise um Konzernchef Peter Löscher jetzt brauchen kann. Auch, weil es zeigt, dass nicht alles schlecht läuft.

20 Prozent seines Börsenwertes hat Siemens verloren, seit Löscher 2007 an die Spitze des Unternehmens kam. Das ist eine bedenkliche Entwicklung, obwohl das Unternehmen mit 370.000 Mitarbeitern und 78 Milliarden Euro Jahresumsatz noch immer das wertvollste Unternehmen des Landes ist. Immerhin: Am Montag notierte das Papier des Unternehmens fast unverändert bei einem Wert von knapp unter 80 Euro.

Schlechte Kommunikationspolitik

Wer wissen will, wie es jetzt weitergeht mit dem Aushängeschild deutscher Industriepolitik, muss die fragen, die an den Märkten das Sagen haben. Die Einschätzungen von Börsenanalysten bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen Investoren Siemens-Papiere kaufen oder verkaufen.

Oliver Drebing ist Analyst und so schlecht ist seine Stimmung derzeit nicht. Drebing sieht Siemens grundsätzlich gut aufgestellt. Die schlechte Presse? "Ich kann mir vorstellen, dass Siemens bald schon wieder ganz anders gesehen wird", sagt Drebing, der bei dem Analyseunternehmen SRH AlsterResearch tätig ist. Das Hauptproblem von Siemens sei gar nicht so sehr das Geschäft an sich. "Die aktuelle Problematik ist die schlechte Kommunikationspolitik", meint Drebing, und die hänge eben auch mit Konzernchef Löscher zusammen.

"We say what we do and we do what we say", das war das Motto, das Heinrich von Pierer zu seiner Zeit als Unternehmenschef formuliert hatte. Bei Löscher sei davon nicht mehr viel zu spüren. Es fehle an Verlässlichkeit. "Herr Löscher ist mit aller Energie vorgeprescht, und niemand ist ihm dann gefolgt", sagt Drebing. Seine Energie ist verpufft. Das unterscheide ihn auch von Finanzvorstand Joe Kaeser, der sich eher an der Politik von Pierers orientiere.

Infrastruktur und Städte als Problembereich

Günther Hollfelder, der für die Baader Bank das Unternehmen beobachtet, sieht bei Siemens ebenfalls keine grundlegenden Probleme. Das Geschäft mit der fossilen Stromerzeugung laufe sehr gut. Im Bereich der Medizintechnik sei Siemens "sehr gut aufgestellt". Gleiches gelte für die Industrieautomatisierung. Problematisch sei, dass der Konzernbereich Industrie sehr stark von der allgemeinen Konjunktur und der Konzernbereich Energie von der Politik abhängig sei. Auch in der Peripherie gebe es manches Geschäft, das "man mal kritisch hinterfragen" müsste, meint Hollfelder.

Verbesserungsbedarf in den einzelnen Unternehmenssektoren sieht auch Analyst Drebing. Was den Konzernbereich Infrastruktur und Städte angehe, so liefere Siemens dort "derzeit ein ganz schwaches Bild". Dort stehe die gesamte Idee in Frage, sich Städten als Partner für Mobilität, Umweltschutz und Energieeinsparung zu präsentieren.

Eine Einschätzung, die im saudi-arabischen Riad offenbar noch nicht angekommen ist. Dort sollen Anfang kommenden Jahres die Bauarbeiten zum neuen U-Bahn-Netz beginnen. 9,45 Milliarden Dollar erhält das Konsortium um den US-Bauriesen Bechtel, an dem auch Siemens und AECOM beteiligt sind. Es ist der größte Teil des Milliardenvorhabens.

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