Siemens-Chef Kaeser:Umbau der Elektrifizierungsfirma

Siemens

Nicht der Wandel bei Siemens ist also das Problem, sondern die Frage, ob er in die richtige Richtung geht

(Foto: dpa)

Joe Kaeser löst eine Unruhe aus, wie es sie seit Jahren bei Siemens nicht mehr gegeben hat: Der Chef des riesigen Unternehmens will die Firma gleichzeitig "beruhigen" und ändern. Passt das zusammen? Ja, es passt.

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

Als Peter Löscher vor sieben Jahren, mitten in der Korruptionsaffäre, die Führung von Siemens übernahm, blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Der Österreicher ließ US-Anwälte den Konzern durchleuchten und nach schwarzen Kassen suchen, er räumte im Vorstand auf, verkaufte Firmen, übernahm andere und verordnete dem Konzern eine völlig neue Struktur. Er wolle die "Lehmschicht" beseitigen, kündigte Löscher an.

Als Joe Kaeser im August vorigen Jahres den geschassten Löscher beerbte, schlug er einen völlig anderen Ton an. Er wolle Siemens wieder zu dem machen, was es seit seiner Anfangszeit Mitte des 19. Jahrhunderts war: zu einer Elektrifizierungsfirma. Vor allem aber kündigte Kaeser an, er wolle Siemens nach all den Umbauten wieder "beruhigen".

Und nun löst ausgerechnet dieser Mann an der Spitze - ein Siemensianer durch und durch, im Unternehmen tätig seit mehr als drei Jahrzehnten - eine Unruhe aus, wie es sie seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Kaeser hebt die von Löscher gewollte Aufteilung des Konzerns in vier sogenannte Sektoren auf, die alle größer waren als die meisten Dax-Konzerne. Er schafft eine neue Struktur. Tauscht Vorstände aus. Trennt sich vom Geschäft mit Hörgeräten. Und buhlt auch noch um Teile des französischen Rivalen Alstom. Im Tausch dafür will er das Bahn- und Straßenbahngeschäft opfern. Erstaunlich, denn auch damit ist das Unternehmen groß geworden, die erste elektrisch betriebene Straßenbahn der Welt in Lichterfelde stammte 1881 von Siemens.

Passt das zusammen? Das Unternehmen beruhigen - und es umbauen?

Ja, es passt. Denn Kaeser geht es ja nicht allein um die Zahlen. Er macht nicht den Ackermann, fordert also nicht, wie der frühere Chef der Deutschen Bank, apodiktisch eine exorbitante Eigenkapitalrendite - und ordnet dem alles unter. Er folgt auch nicht jenem unseligen Geist, den einst Jack Welch, der Chef des amerikanischen Siemens-Kontrahenten General Electric, verbreitete. Welch, Vorbild für eine ganze Generation von Managern, zog mit dem Spruch "Fix it, sell it or close it!" durchs Land: Reparieren, verkaufen oder schließen. Auch bei Siemens ließ man sich in den Neunzigerjahren, unter der Führung von Heinrich von Pierer, von diesem Denken teilweise infizieren und ging in New York an die Börse. Neben den Zahlen und dem Aktienkurs rückt Kaeser stärker das in den Mittelpunkt, wofür Siemens steht: seine Produkte, seine Mitarbeiter, seinen Kern.

Entscheidend ist die Richtung des Wandels

Siemens beruhigen kann aber nicht gleichbedeutend damit sein, dass sich bei Siemens überhaupt nichts verändert. Weil sich die Welt, die Wirtschaft, die Technologie, die Gesellschaft und - ja, auch - die Politik wandelt, muss sich auch Siemens diesen Gegebenheiten anpassen. Der Konzern hat sich in seiner 167-jährigen Geschichte vielfach gehäutet. Baute einst Telefone - heute nicht mehr. Baute einst PCs - heute nicht mehr. War bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin daheim, ist es heute in München.

Nicht der Wandel ist also das Problem, sondern die Frage, ob er in die richtige Richtung geht. Siemens hat sich - und dies wurde in den letzten Jahren vielfach beklagt - aus vielen Geschäftsfeldern zurückgezogen, die für jedermann greifbar waren. Handys zum Beispiel. Die Pleite von BenQ Mobile, dem Käufer der Handy-Sparte, war zudem hässlich. Stattdessen konzentriert sich Siemens auf das Geschäft mit anderen Unternehmen. Produziert Turbinen, Kraftwerke oder Maschinen. Das mag für den Normalbürger langweilig klingen, aber genau dies ist doch die Stärke der deutschen Wirtschaft, ihr produktiver Kern: Industriegüter. Andere Länder, selbst die USA, die Heimat von Google, Facebook und Amazon, beneiden Deutschland um diese starke industrielle Basis. Und längst sind die deutschen Maschinenbauer dabei, ihre Produkte zu vernetzen und über das Internet zu steuern. Industrie 4.0 heißt dieses Geschäft. Siemens bündelt es nun in einem neuen Bereich namens "Digitale Fabrik".

Ein Unternehmen wie Siemens, das sich nicht bloß den Shareholdern, den Aktionären, verantwortlich fühlt, sondern allen Stakeholdern, also auch den Mitarbeitern, den Kunden, der Gesellschaft - ein solches Unternehmen darf dabei durchaus auch politische Kriterien in seine Überlegungen einfließen lassen (wie bei Alstom); sie dürfen aber nicht das einzige Kriterium sein. Einen europäischen Champion zu bilden - man kann das für verwerflich halten, zumal wenn sich die Politik so schamlos einmischt wie in Paris. Es könnte am Ende, in der Summe aller Abwägungen (und dazu zählt auch der Kaufpreis), aber im langfristigen Interesse eines globalen europäischen Konzerns wie Siemens sein.

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