Süddeutsche Zeitung

Vor der Hauptversammlung:Alle gegen Siemens

Großaktionär Blackrock und Klimaaktivisten sind sich einig: Der Konzern müsse Klimaschutz ernst nehmen. Nach der Auseinandersetzung um ein Projekt in Australien geraten die Münchner zunehmend unter Druck.

Von Thomas Fromm

Varsha Yajman ist 17, und sie sagt, wie sich die Zukunft vorstellt. "Dass meine Kinder und Enkel in einer gesunden, lebenswerten Welt mit einer guten Lebensqualität leben." Varsha Yajman ist bei der australischen "School Strike for Climate"-Bewegung, und jetzt sitzt sie hier mit anderen jungen Leuten auf der Bühne des Münchner Veranstaltungszentrums "Eine-Welt-Haus". Links auf der Bühne steht ein altes Klavier, rechts hängen ein paar Leuchten. Alles hier sieht nach Kleinkunstabenden aus, nach Kultur an Freitag- und Samstagabenden. Musik, Theater, Literatur.

Was hier heute auf dem Programm steht, ist allerdings keine Kleinkunst. Es geht ans Eingemachte, es geht um Siemens, einen Konzern mit fast 87 Milliarden Euro Umsatz und 385 000 Mitarbeitern. Von dieser kleinen Bühne aus jedenfalls soll eine Art Revolution ausgehen, denn die jungen Leute, die hier sitzen, wollen vor allem eines: Dass sich dieser alte Konzern grundlegend verändert. Die Frage ist nur: Wird er das tun, nur weil junge Menschen, die gegen den Klimawandel kämpfen, das vehement einfordern?

"Klima-Kaeser zum Klima-Killer"

An diesem Mittwoch nun lädt der Konzern seine Aktionäre zur jährlichen Hauptversammlung in die Münchner Olympiahalle. Schon am Dienstag haben Aktivisten von Greenpeace das Dach der Konzernzentrale in München besetzt, sie entrollten ein Transparent mit dem Aufschrift: "Buschbrände beginnen hier". Ein paar Ecken weiter, in der Schwanthaler Straße, haben Kritiker in einen Hinterhof geladen.

Über der Bühne hängen kleine Plakate, auf einem steht: Stop Adani. Darunter steht: @Siemens. Eine junge Frau schreibt mit einem Stift noch dazu: @Joe Kaeser. Adani, Siemens, Kaeser: Irgendwann in den vergangenen Wochen und Monaten waren Siemens und sein Chef Joe Kaeser immer mehr ins Visier der Klimaschützer gerückt. Grund: Ein 18-Millionen-Euro-Auftrag über eine Lieferung von Signaltechnik für eine Bahnstrecke, über die Kohle von einem geplanten Bergwerk im Nordosten von Australien direkt zum Hafen transportiert wird. Auftraggeber: Der indische Konzern Adani, der die Kohle aus Australien in seiner Heimat verfeuern will. Dass ausgerechnet Siemens, jener Konzern, von dem Kaeser sagt, dass er in einigen Jahren CO₂-neutral sein soll, der sich als modern und nachhaltig versteht, dass dieses Unternehmen mit dabei ist, wenn so etwas gebaut wird, das ist für die Klimaschützer das eigentliche Problem.

Kaeser habe diesem Vertrag zugestimmt, sagt Lara Eckstein von der Klimaschutzbewegung Campact. Vom "Klima-Kaeser zum Klima-Killer" gewissermaßen. Noch habe Siemens die Chance, das Projekt wieder zu kündigen. "Dann würde es auf der Kippe stehen", sagt sie. Aber genau das will Siemens nicht tun. Denn, so die Position Kaesers: Sollte es hart auf hart kommen und das Gesamtprojekt an der fehlenden Signaltechnik von Siemens scheitern, könne dies Milliardenstrafen zur Folge haben. "Morgen ist die letzte Chance für den Traditionskonzern, sich noch auf die richtige Seite der Geschichte zu schlagen", sagt die Klimaschützerin Eckstein.

"Wenn Kaeser den Vertrag nicht kündigt, wird er den Ruf dieses Traditionskonzerns endgültig zerstören." Daher wäre es am besten, Siemens würde "aus allen fossilen Energien aussteigen". Das wiederum ist eine Forderung, der Kaeser wohl kaum nachkommen wird, zumindest nicht in naher Zukunft. Denn das Geschäft mit fossilen Brennstoffen, mit Turbinen, mit Gas- und Kohlekraftwerke, ist immer noch eines der Hauptgeschäfte des Konzerns. Es gehört zur Tochter Siemens Energy, die mehr als 80 000 Mitarbeiter hat und zusammen mit dem Windkraftkonzern Siemens Gamesa im September an die Börse gebracht werden soll.

Das ist das Problem: Eine Energiesparte, aus deren Geschäften man sich in großen Teilen zurückziehen würde, bräuchte man auch nicht mehr an die Börse zu bringen. Man könnte sich sogar fragen, ob der Betrieb einer solchen Sparte überhaupt noch Sinn ergibt.

Laut werden

Warum ausgerechnet Siemens? Warum der Konzern mit diesem verhältnismäßig kleinen Auftrag, wo doch andere an der Mine beteiligte Konzerne weitaus größere Beteiligungen schultern? "Wir sehen den deutschen Zusammenhang", heißt es bei den Aktivisten. Schließlich gehe es nicht darum, Siemens zu schaden, sondern darum, "die Mine zu verhindern".

Auf Kaeser kommt also einiges zu an diesem Mittwoch. Einige hundert Klimaschützer wollen vor der Olympiahalle in München eine Menschenkette bilden, während in der Halle Aktionäre über Gewinnzahlen, Aktienkurs und Konzernstrategie diskutieren. Die Protestformen sind vielfältig: Einige Aktivisten dürften in der Halle sprechen und so direkt an der Veranstaltung teilnehmen. Andere würden "Aktionen des zivilen Ungehorsams" planen, kündigte ein Aktivist am Montag in München an. Auf jeden Fall, so Helena Marschall von Fridays for Future: Man werde "laut" sein.

Fridays for Future, Extinction Rebellion, Campact, Greenpeace: Die Liste derer, die sich mit Kaeser anlegen, ist lang. Und sie ist vielfältig. Denn ausgerechnet der Chef des US-Finanzinvestors Blackrock, Larry Fink, hatte erst kürzlich Konzernchefs in aller Welt dazu aufgerufen, das Thema Klimaschutz ernst zu nehmen. Blackrock, übrigens auch einer der Großaktionäre der Münchner, könne Vorständen und Aufsichtsräten durchaus die Zustimmung verweigern, wenn beim Thema Nachhaltigkeit nicht genug getan werde.

Insofern weiß auch der Siemens-Vorstand: Menschen wie Larry Fink und Lara Eckstein mögen grundverschieden sein. Aber irgendwie interessieren sich beide für Nachhaltigkeit. Warum also muss Siemens ausgerechnet bei gigantischen Kohleprojekten in Australien mitmischen?

Auch die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer will übrigens am Mittwoch bei der Hauptversammlung vorbeischauen. Vor kurzem hatte Kaeser ihr einen Sitz in einem Siemens-Aufsichtsgremium angeboten. Sie lehnte ab. Jetzt also: ein Wiedersehen unter Aktionären.

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Quelle:
SZ vom 05.02.2020/hgn
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