Süddeutsche Zeitung

Siemens-Hauptversammlung:Diese 25-Jährige legt sich mit Kaeser an

Murrawah Johnson ist ihr Name und sie kämpft für heilige Quellen in ihrer australischen Heimat und gegen Siemens, das dort Bahntechnik für einen Kohle-Bergbau liefert.

Von Thomas Fromm

Es ist einer dieser verschlungenen, internationalen Zufälle, dass Murrawah Johnson und Siemens-Chef Joe Kaeser an diesem Mittwoch bei der Hauptversammlung des Konzerns in der Münchner Olympiahalle aufeinandertreffen. Der erste Mann des Münchner Milliardenkonzerns, 62, und die 25 Jahre alte Sprecherin des indigenen "Wangan and Jagalingou Council" aus Australien - nicht nur geografisch liegen sie ziemlich weit auseinander.

Bis Ende vergangenen Jahres, sagt die Australierin am Abend vor ihrem Auftritt in der Olympiahalle, habe sie "nie etwas von Siemens gehört". Das änderte sich über Nacht, als plötzlich öffentlich darüber diskutiert wurde, dass der Technologiekonzern aus dem fernen München eine Signaltechnikanlage für eine Bahnstrecke in Australien liefert. Nicht irgendeine Verbindung, sondern jene, die der indische Energiekonzern Adani braucht, um seine Kohle von einem gigantischen neuen Bergwerk zum nächsten Hafen zu transportieren. Ein umweltpolitisch höchst umstrittenes Megaprojekt, noch dazu in einer Gegend, in der schon die Vorfahren von Murrawah Johnson lebten. "Meine Leute kämpfen schon seit Jahren gegen das Adani-Projekt auf unserem Land", sagt sie. Ein Projekt, das nur zehn Kilometer von natürlichen Quellen entfernt in den Boden gegraben werde, die für das Volk der Wangan und Jagalingou ein heiliger Ort sind. "Adani sagt, dass diese Monster-Kohlemine auf die Quellen keinen Einfluss haben wird", sagt sie. "Lächerlich."

Am Mittwoch um kurz vor 14 Uhr steht sie am Rednerpult in der Olympiahalle, stellt sich vor als "Nachfahre der Ureinwohner" und fordert Siemens auf, den Vertrag mit Adani aufzulösen. Sie schaut fragend hinüber zu Kaeser, der auf der Bühne hinter seinem Tisch sitzt.

"Unsere Regierung glaubt, entscheiden zu können, was die beste Zukunft für uns ist: einen Job in der neuen Kohlemine zu finden", sagt sie am Abend vor dem Aktionärstreffen. "Das wäre dann unsere Rettung vor Armut." Genau das aber wollen sie nicht: Einen Job annehmen in einer Industrie, die aus ihrem Land eine Kohlengrube macht. Sie trägt einen weißen, dicken Wollpullover an diesem verschneiten Münchner Abend. "Ich mag es hier", sagt sie. Johnson ist viel unterwegs, seit sie 19 Jahre alt ist, tritt die Politikstudentin als Sprecherin und Vertreterin ihrer indigenen Gruppe auf. Ihr Gegner: der indische Adani-Konzern. "Es war uns klar, dass die Zugverbindung für Adani wichtig ist, um die Kohle zum Hafen und dann nach Indien zu transportieren."

Sie hat einen Brief an den Vorstand am Wittelsbacher Platz geschrieben und um ein Treffen gebeten. Sie will erklären, was in ihrer Gegend falsch läuft. Eine Antwort hatte sie bis Mittwoch nicht bekommen. Ihre Hauptkritik: Dass Kaeser zu dem Vertrag mit Adani erklärte, dieser sei auch von ihrer Gruppe der indigenen Wangan und Jagalingou genehmigt worden. Dies aber sei so nie der Fall gewesen.

Der Vertrag sei nicht mit den indigenen Gruppen abgesprochen, wie Kaeser behauptet

Die Münchner argumentieren formal: Der von Johnson vertretene "Wangan and Jagalingou Family Council" sei "nicht rechtlich als offizielle Interessenvertretung anerkannt" - anders als der offizielle Indigenen-Verband "Wangan and Jagalingou People". Mit diesem habe der Minenbauer Adani eine Landnutzungsvereinbarung geschlossen, die bei einer Versammlung des Verbandes mit 294:1 Stimmen angenommen worden sei.

"Diese Zahlen sind eine Lüge", sagt dagegen Murrawah Johnson. Es hätten Leute mitgestimmt, die nicht in den betroffenen Siedlungen lebten, es sei ein "orchestriertes Treffen" gewesen, bei dem "Busse gemietet und Leute hergebracht und bezahlt" worden seien. "Ich glaube, dass Mr. Kaeser sich die Lage der indigenen Völker nicht gut genug angeschaut hat."

Die Siemens-Beteiligung an dem Minenprojekt hat Murrawah Johnson an diesem Nachmittag wohl nicht verhindern können. Aber: Sie hat ihr Thema unter die Aktionäre gebracht.

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SZ vom 06.02.2020/mxh
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