Süddeutsche Zeitung

Siemens und Alstom:Europa braucht den Zug-Giganten

EU-Wettbewerbskommissarin Vestager macht bei der Prüfung alles richtig - aber auch alles falsch. Der Konkurrent aus China ist größer als Siemens und Alstom zusammen.

Kommentar von Thomas Fromm

Eigentlich macht Margrethe Vestager alles richtig. Die EU-Wettbewerbskommissarin hat sich die beiden Zughersteller Siemens und Alstom genauer angeschaut und festgestellt: Wären das deutsche und französische Unternehmen vereint, kämen also ICE und TGV aus einer Hand, dann würde dieser neue Zugkonzern eine dominierende Marktposition in Europa erhalten und den Wettbewerb möglicherweise verzerren. Indem sie sich streng an den Buchstaben des Gesetzes hält, schützt sie aus ihrer Sicht den Wettbewerb in Europa, was per Definition ihre Aufgabe ist. Und weil das so ist, wird sie nach allem, was man heute weiß, den "Airbus der Schiene" in den nächsten Wochen wohl untersagen.

Die Kommissarin macht alles richtig - und doch macht sie einen großen Fehler. Europa braucht einen großen Zughersteller. Einen "Global Champion", der es mit den Großen außerhalb Europas aufnehmen kann. Denn, ja: Es gibt da eine Welt auch außerhalb Europas. Eine Welt, in der oft andere Gesetze gelten und in der akkurate Wettbewerbsregeln nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. China zum Beispiel.

Europa soll nun nicht deswegen die Werte der anderen übernehmen. Aber es geht darum, sich auf diese anderen Werte einzustellen - und zu wappnen. Als in China vor vier Jahren staatseigene Unternehmen zum Schienen-Koloss CRRC zusammengelegt wurden, ging es zwar auch um Wettbewerb, allerdings um den globalen. Heute ist CRRC der mit Abstand größte Hersteller in der Branche, viel größer noch als Siemens und Alstom zusammen. Er kommt aus einem abgeschirmten Heimatmarkt und wird von Peking bei seiner Expansion massiv unterstützt. Fair ist das ganze Spiel nicht, und Siemens, Alstom oder Bombardier fürchten den Giganten aus gutem Grund.

Bisher haben sich die Chinesen in den USA durchgesetzt, in Indien, in Afrika, in der Türkei, in Russland. In den kommenden Jahren werden sie wohl auch in Mitteleuropa den Markt aufrollen - langsam aber langfristig und mit Kalkül. Die Deutsche Bahn hatte kürzlich erstmals kleine Rangierloks bei CRRC geordert. Es ist für die Bahn zwar nur ein Mini-Deal, aber ein wichtiger Testversuch für die Chinesen: Können wir auch Deutschland, können wir Europa?

Es braucht wenig Fantasie, um zu prognostizieren, wie der Konzern seine Größe und seine Macht ausbauen wird: Über eine immer aggressivere Preispolitik, die er sich im Gegensatz zu den wesentlich kleineren Wettbewerbern leisten kann. Wer es mit einem Koloss dieser Größe aufnehmen will, braucht ebenfalls Gewicht. In China wird Größe von den Behörden vorangetrieben, in Europa wird Größe verhindert. Wie bei Siemens-Alstom.

Die EU-Kommission würde den Deal wahrscheinlich genehmigen, wenn Siemens und Alstom ihre neuen Technologien für Hochgeschwindigkeitszüge für bis zu zehn Jahre an Wettbewerber abgeben würden. Konkret hieße das: Man müsste jahrelang am Markt gegen die eigene Technologie ankämpfen. Wer also ein europäischer Champion werden will, muss sich erst einmal auf Jahre hin selbst verzwergen. Bis man seine eigenen Technologien wieder nutzen kann, ist es dann möglicherweise schon zu spät.

Die europäischen Kartellwächter haben dabei noch keine Antworten auf die eigentliche Frage gegeben: Passt ihre Perspektive überhaupt noch? Das mag daran liegen, dass sie in ihrer eigenen Welt leben. Es ist eine alte Welt, und möglicherweise auch die perfekte. Aber die Realität ist in den vergangenen Jahren eine andere, wenn man so will, brutalere geworden. Ausgerechnet das Management von CRRC dürfte in diesen Wochen wohl zu den größten Fans der EU-Wettbewerbshüter gehören. Verkehrte Welt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4293471
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.01.2019/lüü
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.