Siemens-Affäre:Der Schattenbuchhalter

Reinhard S. soll als erster Angeklagter im Schmiergeldskandal bei Siemens vor Gericht stehen. Er könnte Kronzeuge werden.

Klaus Ott

Der Angeklagte legte ein Geständnis ab, er bereute seine Taten, und er packte aus. Erst durch ihn erfuhren die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft im Detail, wie Zulieferfirmen aus der Autobranche einen BMW-Direktor geschmiert hatten, um an Aufträge zu kommen. Ansonsten, das bestätigte ein Fahnder vor Gericht, wäre vieles im Dunkeln geblieben.

Mit 300.000 Euro hatte der Angeklagte, als er noch Geschäftsführer eines Zulieferbetriebs war, den BMW-Manager bestochen. Ins Gefängnis musste er, nach einer dreiwöchigen Untersuchungshaft, nicht mehr zurück. Das Landgericht München I erließ im Juni ein mildes Urteil: zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung.

So könnte im Herbst auch der erste Fall im Schmiergeldskandal bei Siemens enden, den die Staatsanwaltschaft vor Gericht bringen möchte. Wie die Süddeutsche Zeitung aus Kreisen erfuhr, die mit dem Ermittlungsverfahren befasst sind, wollen die Strafverfolger noch in diesem Jahr die erste Anklage vorlegen.

Alles gemacht, was die Firma von ihm verlangte

Der frühere Siemens-Direktor Reinhard S. soll sich wegen Untreue und Bestechung verantworten. Sein Anwalt sagt dazu nichts, Siemens schweigt ebenfalls, und Oberstaatsanwalt Anton Winkler sagt wenig. Man wolle das Verfahren zügig beenden, "zu einzelnen Personen äußern wir uns nicht".

Der Kaufmann Reinhard S., 56, ein gebürtiger Bayer, der im Großraum München lebt, ist eine Schlüsselfigur in diesem Verfahren. Als Buchhalter der Schattenwirtschaft lässt sich seine Spezialaufgabe in dem Weltkonzern wohl am besten beschreiben. Mehr als sein halbes Leben lang hat S. für den Konzern gearbeitet, zuletzt als Direktor im Bereich Telekommunikation und dort in der Sparte Festnetz (IC Networks) mit zwei Milliarden Euro Jahresumsatz und 10.000 Mitarbeitern weltweit.

Er hat alles gemacht, was die Firma von ihm verlangte. Er hat sogar schwarze Kassen organisiert, damit Siemens-Manager in vielen Teilen der Welt genügend Geld zur Hand hatten, um bei der Akquisition von Aufträgen nachzuhelfen. Am Ende, nach einer Trennung im Streit, hatte S. aber mit Siemens gebrochen.

Als die Ermittler in den Morgenstunden des 15. November vergangenen Jahres eine Großrazzia starteten - das war der Beginn des Skandals - saß der vormalige Siemens-Direktor gewissermaßen auf gepackten Koffern. Er hatte vorsichtshalber Belastungsmaterial gesammelt und mit einem ehemaligen Kollegen darüber gesprochen, ob er von sich aus zur Staatsanwaltschaft gehen solle. S. fürchtete offenbar, der Konzern werde ihm alles in die Schuhe schieben, falls die Sache auffliege.

Mehr als 100 Millionen Euro in alle Welt geschleust

Die Ermittler kamen dem ehemaligen Direktor dann zuvor und waren selbst überrascht, welchen Fang sie da gemacht hatten. S. präsentierte den erstaunten Fahndern Akten, Briefe, Rechnungen, Vollmachten, Kontoauszüge und andere Belege für die dunklen Geschäfte bei Siemens. Und er schilderte bei den Vernehmungen im Landeskriminalamt das System der schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen bis ins kleinste Detail; anfangs Tag für Tag, später Woche für Woche. Oft fiel ihm über Nacht noch eine Begebenheit ein oder ein Manager, der in den Fall verwickelt sei.

Mit Hilfe von S. und auf Grund weiterer Erkenntnisse konnte die Staatsanwaltschaft den Konzernbereich Telekommunikation schnell durchleuchten und feststellen, dass Siemens-Manager seit Ende der neunziger Jahre mehrere hundert Millionen Euro durch schwarze Kassen in Österreich und der Schweiz in die ganze Welt geschleust hatten.

Ein geheimes Finanzsystem war da entstanden, mit Tarnfirmen, Auslandskonten und Schließfächern bei Banken, in denen die Nebenbuchhaltung verwahrt wurde. S. verwies auch auf andere Konzernbereiche, in denen ebenfalls geschmiert worden sei. Und er wies den Weg in die Konzernspitze. S. belastete den vormaligen Vorstand Thomas Ganswindt schwer. Ganswindt wurde in Untersuchungshaft genommen und gab zu, von Schmiergeldzahlungen gewusst zu haben.

"Korruption werde hart bestraft - Aufklärung hingegen belohnt"

Das Gerichtsverfahren gegen S. könnte rasch vorüber sein, wie bei dem geständigen BMW-Zulieferer. Bei dem war alles an einem Tag abgehandelt, nachdem das Gericht, die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft sich abgesprochen hatten. Vielleicht wäre ein kurzer Prozess gegen den ehemaligen Siemens-Direktor sogar im Sinne der Strafverfolger. S. stünde, sobald sein Fall abgeschlossen wäre, als eine Art Kronzeuge zur Verfügung.

Bei den vielen Verfahren gegen andere und bekanntere Siemens-Manager, die sicherlich noch folgen werden, könnte der Schattenbuchhalter anschließend seine bisherigen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft vor Gericht wiederholen. Dann aber nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge der Anklage.

In der Schmiergeldaffäre bei BMW hat das Münchner Landgericht einen Leitsatz verkündet, der womöglich auch für Siemens gilt. Korruption werde hart bestraft, aber "Aufklärung wird belohnt".

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