Sieg für RWE, Eon & Co.:Strahlend am Abgrund

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Deutsche Atomkonzerne bekommen sieben Milliarden Euro vom Bund zurück. Schuld sind Fehler im Gesetz zur Brennelementesteuer. Die Finanznot der Firmen lindert der Erfolg aber nur ein wenig.

Von Markus Balser und Wolfgang Janisch, Karlsruhe/Berlin

Brennelemente werden in Druckbehälter eines Kernkraftwerkes eingesetzt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Es ist kurz nach halb zehn, als am Mittwoch morgen plötzlich die Börsenkurse der deutschen Stromkonzerne nach oben schießen. Erst drei, dann vier, dann fünf Prozent: Bei den Aktien der angeschlagenen AKW-Betreiber RWE und Eon gab es das schon lange nicht mehr. Es sind die ersten Minuten nach einer faustdicken Überraschung. Denn das Bundesverfassungsgericht hat den Betreibern von Kernkraftwerken kurz zuvor Erstattungsansprüche gegen den Fiskus in Höhe von mehreren Milliarden Euro zugesprochen.

In Karlsruhe hatte der Zweite Senat unter Vorsitz von Verfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss die sogenannte "Kernbrennstoffsteuer" für nichtig erklärt, weil der Bund für deren Erlass gar keine Gesetzgebungszuständigkeit gehabt habe. Was technisch klingt, ist ein Milliardenerfolg für die Atomkonzerne Eon, RWE und EnBW und eine herbe Schlappe für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Der Bund muss die von 2011 bis 2016 geltende Steuer auf neue Brennelemente, die fast 6,3 Milliarden Euro in den Haushalt spülte, zurückzahlen - zuzüglich sechs Prozent Zinsen. Nach Berechnungen der Atomkraftwerksbetreiber liegt die Gesamtsumme bei fast sieben Milliarden Euro.

In Berlin löste das Urteil einen heftigen Disput in der großen Koalition aus. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bezeichnete den Gerichtsentscheid als "kolossales Ärgernis", für das die schwarz-gelbe Vorgängerregierung verantwortlich sei. Die Sozialdemokraten sehen in Finanzminister Schäuble den Schuldigen. Das vom Verfassungsgericht als grundgesetzwidrig eingestufte Gesetz zur Kernbrennstoffsteuer sei ein Gesetz Schäubles "voller handwerklicher Fehler", kritisierte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Carsten Schneider.

Die noch vor der Katastrophe von Fukushima von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Steuer gehörte zum Sparpaket des Bundes aus dem Jahr 2010 und sollte eigentlich jährlich 2,3 Milliarden Euro zur Konsolidierung des Haushalts beitragen. In der Branche verstand man sie auch als Gegenleistung für die damals zunächst beschlossene Laufzeitverlängerung der 17 deutschen Reaktoren. Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft nach der Katastrophe von Fukushima 2011 schrumpften jedoch schon kurze Zeit später nicht nur die Einnahmen des Bundes auf 1,3 Milliarden Euro. Die Unternehmen begannen nun auch, sich mit allen juristischen Mitteln gegen die Steuer zu wehren.

Der Europäische Gerichtshof hatte die Steuer noch 2015 für rechtens erklärt

Am Ende der jahrelangen Auseinandersetzung bekommt nun eine juristische Spitzfindigkeit große Bedeutung. Denn die Abgabe, die für jedes in den Reaktoren genutzte Gramm Uran 145 Euro Steuern vorsah, wurde seinerzeit als "Verbrauchsteuer" deklariert. Diese Zuordnung wurde nun vom Bundesverfassungsgericht beanstandet. Zwar hatte das Gericht in früheren Urteilen angenommen, dass eine solche Steuer nicht nur auf reine Verbrauchsgüter erhoben werden darf, sondern auch auf Produktionsmittel, etwa auf Mineralöl. Allerdings pocht der Senat nun auf ein enges Verständnis dieser Steuerart. Als Verbrauchsteuer gelten nach der Typologie des Grundgesetzes nur solche Abgaben, die typischerweise am Ende auf den Verbraucher umgelegt werden. Das sei aber ausweislich der damaligen Gesetzesbegründung gerade nicht der Fall. Dort hatte es geheißen, es werde Stromerzeugern "nur in geringem Umfang möglich sein", ihre Zusatzkosten auf die Kunden abzuwälzen. Damit aber hatte der Bund kein Recht, die Steuer zu erlassen. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes müsse strikt beachtet werden, auch zum "Schutz der Bürger vor einer unübersehbaren Vielzahl von Steuern", heißt es in dem aktuellen Beschluss. Der Europäische Gerichtshof hatte die Steuer dagegen im Jahr 2015 noch für rechtens erklärt. Die Steuermilliarden könnten schon in den nächsten Monaten zurück in die Kassen der drei Konzerne fließen. Dies sei aus dem laufenden Haushalt ohne Neuverschuldung und ohne Nachtragshaushalt finanzierbar, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums und verwies auf die guten Steuereinnahmen. Der genaue Rückzahlungsmodus werde noch mit dem Haushaltsausschuss des Bundestags geklärt. Der Ministeriumssprecher kritisierte, dass das Urteil ohne mündliche Anhörung zustande gekommen sei. Man hätte dabei gerne die eigene Position dargestellt, hieß es.

Für die schwer angeschlagenen deutschen Energiekonzerne gilt die Entscheidung als Hoffnungsschimmer. Allein Eon hatte rund 2,85 Milliarden Euro an Atomsteuern gezahlt. Der Konzern rechnet bei der Rückerstattung zusätzlich mit Zinsen von 450 Millionen Euro. RWE geht von 1,7 Milliarden Euro Rückerstattung plus 200 Millionen Euro Zinsen aus. Und bei EnBW sind es 1,44 Milliarden und 216 Millionen Euro Zinsen. Vattenfall profitiert als vierter AKW-Betreiber nicht von der Rückzahlung. Die deutschen Kraftwerke des schwedischen Konzerns - Krümmel und Brunsbüttel - waren bei der Einführung der Steuer bereits abgeschaltet. Doch die Probleme der Branche sind angesichts der fortschreitenden Energiewende inzwischen so groß, dass auch der bevorstehende Milliardentransfer an der Krise wenig ändert. Allein im vergangenen Jahr verbuchten die drei Konzerne zusammen 24 Milliarden Euro Verlust. Sie leiden darunter, dass die Geschäfte ihrer Großkraftwerke wegbrechen. Und der nächste Zahltag naht schon. Von Juli an müssen die Konzerne den Atomfonds des Bundes mit insgesamt 24 Milliarden Euro füllen. Der Fonds soll einen Großteil der Kosten für die Endlagersuche übernehmen. Die Regierung will so die Rückstellungen der Konzerne für die Entsorgung ihres nuklearen Mülls sichern.

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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