Sicherheitstechnik:Loch im Kopf

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Einsatzkräfte bei einer Demonstration in Frankfurt - zur sicheren Weitergabe von Dateien haben sie bisher kein digitales Werkzeug. (Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Die Firma Schuberth ist vor allem Motorradfahrern bekannt. Doch sie beliefert auch die Polizei mit Helmen. In Zeiten von Terror boomt das Geschäft.

Von Katharina Kutsche, München

Mit voller Wucht lässt Sven Bartels einen drei Kilo schweren Metalldorn aus einem Meter Höhe auf den Polizeihelm krachen. Als er die Spitze wieder herauszieht, ist das Loch in der Helmschale etwa so groß wie eine Eincentmünze, der Lochrand erhaben, feine Risse ziehen sich durch den weißen Oberlack des Helms. Doch der Metalldorn hat die Helmschale nicht durchschlagen, der Kopf darunter ist unverletzt geblieben - Test bestanden. Was im realen Leben der Kopf eines Polizeibeamten gewesen wären, ist hier, in der Entwicklungsabteilung von Schuberth, ein Prüfkopf aus Aluminiumdruckguss. "Dies ist die einzige Abteilung, die den ganzen Tag lang Helme kaputt machen darf", sagt Bartels und lacht.

Das Unternehmen Schuberth ist bei Motorradfahrern bekannt für hochwertige und hochpreisige Helme. Aber die Magdeburger sind seit Jahrzehnten auch in Sicherheitskreisen aktiv: Sie statten Feuerwehrleute, Soldaten und Polizeibeamte mit Helmen aus. Beim Logistikzentrum Niedersachsen, dem Uniform-Versand für viele deutsche Bundesländer, können also nicht nur Beamte der Motorradstaffeln einen Schuberth-Integralhelm, sondern auch Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizeien den Schuberth-Einsatzhelm Modell P 100 F bestellen. Mittlerweile ist das Unternehmen in fast allen deutschen Landespolizeien vertreten, auch Bundespolizisten sowie Polizeibeamte in Griechenland, Tschechien, Österreich und Spanien tragen den Kopfschutz aus Magdeburg.

Gestartet war die Firma einst als Möbeltischlerei

Der Bedarf an sicherer Ausstattung für Kopf und Körper ist größer denn je, nach dem Attentat in einem Zug bei Würzburg, dem Amoklauf von München. Vor allem, um gegen Terroranschläge gerüstet zu sein, rüstet die Polizei auf. In Sachsen erproben Einsatzkräfte Helme eines amerikanischen Herstellers, die Großkalibergeschosse und Splitter abfangen können. Die niedersächsische Polizei wartet auf die Auslieferung von Helmen, mit denen die Streifenwagen ausgestattet werden sollen - schließlich sind es meist die Beamten der Streifendienste, die zuerst am Einsatzort und damit den Gefahren ausgesetzt sind.

Das Geschäft läuft, rund 900 000 Helme werden jährlich am Stammsitz in Sachsen-Anhalt zusammengebaut, davon mehr als die Hälfte für den Arbeitsschutz, weitere 200 000 Helme für Motorradfahrer. Konkurrenz gibt es in allen Produktbereichen, bei den Motorradhelmen vor allem auf dem asiatischen Markt. Doch bei den Einsatzhelmen hat es Schuberth inzwischen zum Hauptlieferanten bei den deutschen Polizeien gebracht.

Gegründet wurde Schuberth 1922 in Braunschweig als Möbeltischlerei. Anfang der Fünfzigerjahre begann das Unternehmen mit der Entwicklung von Kopfschutzsystemen, baute einen ersten Arbeitsschutzhelm und stellte Innenausstattungen für die Stahlhelme der Grenzschützer und Landespolizeien her - mit Leder- und Textilverarbeitung kannten sich die Tischler schließlich aus.

Schon wenige Jahre später brachte Schuberth auch den ersten eigenen Motorradhelm, Modell Aero, auf den Markt - und konzentrierte sich dann bald ganz auf das Geschäft mit Helmen. Als die Firma um die Jahrtausendwende herum an ihre Grenzen stieß, zog sie 2003 in ein neu gebautes Werk nach Magdeburg um, direkt an der Autobahn A 2, Abfahrt Rothensee. Ein Grund für die Standortwahl: Das Land Sachsen-Anhalt unterstützte die Ansiedlung finanziell.

Den Hauptumsatz macht das Unternehmen mit den Motorradhelmen, die neuesten Modelle R 2 und C 4 kosten rund 650 Euro. Die Auftragslage ist gut, Geschäftsführer Jan-Christian Becker peilt für 2016 einen Rekordumsatz von etwa 74 Millionen Euro an. Doch Schuberth profitiert auch stark von den Gefahren für Einsatzkräfte. Für die Konstrukteure in Forschung und Entwicklung bedeutet das, vorauszudenken, was Polizeibeamte und ihre Helme im Einsatz aushalten müssen. Der Metalldorn etwa, den Bartels im Prüflabor in die Helmschale einschlagen lässt, simuliert einen Angreifer, der mit einer mit Nägeln versetzten Holzlatte auf einen Polizeibeamten einprügelt. Solche Richtlinien, in denen steht, was die Helme für die Polizei leisten müssen, entwickelt das Polizeitechnische Institut in Münster. Ein weiteres Szenario, das den Ingenieuren vorgegeben wurde: Ein Brandsatz trifft einen Beamten in Brusthöhe, dessen Uniform fängt Feuer und schlägt Flammen hin zum Kopf. Das Helm-Innenfutter muss also schwer entflammbar und hitzebeständig sein, damit dem Beamten genügend Zeit bleibt, den Helm mithilfe seiner Kollegen abzusetzen.

Bei solchen Vorgaben können die Helmbauer auf ihre Erfahrungen aus der Herstellung der Feuerwehrhelme zurückgreifen. Die stehen im Prüflabor in einem Regal aufgereiht und tragen jeweils einen handtellergroßen schwarzkrustigen Brandfleck auf der hellgelben Oberfläche. "Da wurde die Helmschale bei bis zu 320 Grad Celsius durchgebraten", sagt Prüflabor-Leiter Bartels, "der Helm muss das acht Minuten lang aushalten."

Schuberth-Geschäftsführer Becker führt durch das Werk und erklärt die einzelnen Produktionsschritte: "Die Grundkonstruktion eines Helmes ist immer die gleiche." An der ersten Station in der Werkshalle schneidet ein Mitarbeiter in einem orangefarbenen T-Shirt - der Schuberth-Uniform, die hier alle tragen - von Hand halbrunde Glasfasermatten für die unterschiedlichen Helmgrößen zurecht. Je zwei Matten legt er über einem Modellkopf zusammen, sie werden mit Harz vermischt zu einer Helmschale gepresst, quasi dem Rohbau des Kopfschutzes. Neben dem Handarbeiter machen, geschützt von einem Glaskäfig, zwei elektronische Kollegen den gleichen Arbeitsschritt: Roboterarme schießen Fäden aus Fiberglas direkt in die Form einer Helmschale. Dieser Schuberth'sche Eigenbau, Direct Fibre Processing (DFP) genannt, soll den Produktionsschritt zukünftig allein übernehmen.

Weite Teile der Produktion wurden wieder zurück ins Haus geholt

Die DFP-Technologie ist nicht die einzige Eigenentwicklung: "Wir haben in den letzten Jahren verstärkt ingesourct", sagt Becker. Die Produktion wurde modernisiert und der Standort in Magdeburg gestärkt. Anbauteile wie die Visiermechanik stellt der Betrieb inzwischen selbst her, für die Spritzgusstechnik habe das Unternehmen Beträge in Millionenhöhe investiert, so Becker. Auch die Löcher für Schrauben, Visieranbringung und Helmbelüftung werden von Robotern gemacht: Zwei künstliche Arme mit Spritzpistolen schießen die Aussparungen mit einem Wasserdruck von 4000 bar in die Helmschale.

Trotz aller Technik bleibt vieles nach wie vor Handarbeit. So arbeiten allein in der Montage mehr als hundert der insgesamt etwa 400 Schuberth-Beschäftigten. Sie setzen die Innenfutter ein, schrauben die Visiere fest, kleben Dekore auf. Hier, kurz vor dem Warenausgang, stehen mehrere Hundert dunkelblaue Helme mit aufgeklebtem Bundesadler in den Regalen, neue Einsatzhelme für die Bundespolizei, Modell P 100 N. "Die müssen noch im Dezember ausgeliefert werden", sagt Becker. Ein behördentypisches Phänomen, unbeirrt von Terror und Amok: Nach einem sparsamen Jahr ist im Weihnachtsmonat noch am meisten Geld für Neuanschaffungen übrig.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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