Natürlich denken alle an Huawei, den ebenso erfolgreichen wie umstrittenen Telekom-Ausrüster aus China. Doch Thierry Breton gelingt es, den Namen des Konzerns in einem achtzigminütigen Interview nicht einmal in den Mund zu nehmen. Der EU-Kommissar, zuständig für den Binnenmarkt, präsentierte am Mittwoch die Sicherheitsempfehlungen seiner Behörde für die neue schnelle Mobilfunktechnik 5G. Daneben lud er die Süddeutsche Zeitung und einige ausländische Medien zu einem Gespräch in den zehnten Stock des Berlaymont-Gebäudes, der Zentrale der EU-Kommission. Dort sagte der Franzose, er lege mit seinen Empfehlungen eine "Checkliste" oder einen "Werkzeugkasten für die nächsten zehn Jahre" vor, mit dem Regierungen, Telekom-Konzerne und Anwender von 5G-Technik - etwa Kommunen oder Industriebetriebe - die Risiken minimieren könnten.
Unter anderem fordert dieser Werkzeugkasten die Mitgliedstaaten auf, zu prüfen, wie vertrauenswürdig die Ausrüster sind, und sie wenn nötig teilweise auszuschließen - so wie es die Briten bei Huawei vorexerziert haben. "Der Werkzeugkasten liefert dafür die Begründungen", sagte Breton, der bis Herbst Chef des französischen IT-Dienstleisters Atos war. Doch das Herkunftsland alleine, also Misstrauen gegenüber China, sei kein Kriterium für einen Bann. Da nationale Sicherheit Sache der Mitgliedstaaten ist, hat dieser Werkzeugkasten nicht die Form eines EU-Gesetzes; er zwingt die Länder zu nichts. Ein Gesetz ist laut Breton auch gar nicht nötig, denn alle Regierungen hätten die Empfehlungen mitentwickelt und ihnen zugestimmt. Es sei "das erste Mal in der Geschichte", dass die Länder bei solch einem Thema koordiniert vorgehen wollten. Manche Staaten würden den Katalog sofort und überall anwenden, andere vielleicht erst später: "Ich bin aber sicher, dass am Ende, wenn 5G komplett ausgerollt ist, jeder unseren Werkzeugkasten nutzt." Die Kommission wird im Juni einen Bericht über die Umsetzung in den ersten Monaten erstellen.
Die 5G-Technologie überträgt Daten so schnell, dass sie ganz neue Anwendungen ermöglicht. Sie ist Grundlage für Visionen von komplett vernetzten Städten und Fabriken, in denen sämtliche Geräte munter miteinander kommunizieren und alles ferngesteuert werden kann. Bereits in zwei bis drei Jahren könnten derart leistungsfähige 5G-Netze im großen Stil zur Verfügung stehen. Weil das Netz die Basis für so viele sensible Anwendungen sein soll, ist der Schutz gegen Hacker und Datendiebe sehr wichtig - zumal die Infrastruktur im Vergleich zu den Vorgängersystemen mehr Angriffspunkte bietet.
Die Kommission verspricht, in Politikfeldern, in denen sie und nicht die Staaten zuständig ist, ebenfalls zu einem sicheren Umfeld für 5G beizutragen: etwa in der Handels- und Wettbewerbspolitik und bei den Regeln für öffentliche Ausschreibungen. Breton sagte, dass sich Rivalen von anderen Kontinenten an die gleichen Regeln halten müssten wie die hiesigen Hersteller, wenn sie in der EU Produkte verkaufen wollten. Unfairer Wettbewerb müsse verhindert werden. Das gelte umso mehr, wenn dieser die Existenz der europäischen Firmen gefährden könne. Es sei wichtig, dass die EU auch in Zukunft eigene 5G-Ausrüster habe. Den Vorwurf, die Empfehlungen würden unter dem Deckmantel der Sicherheit heimische Anbieter schützen, lässt Breton nicht gelten: "Wir bevorzugen niemanden. Die einzigen, die wir bevorzugen, sind Firmen, die unsere Regeln respektieren. Es geht nicht um Protektionismus, sondern um fairen Wettbewerb und Sicherheitsbedenken." Alles sei sehr transparent.
Bei den Telekom-Konzernen, welche die Aufträge für die 5G-Technik erteilen, werde der Werkzeugkasten dazu führen, dass der Preis nicht mehr das einzige Kriterium für den Zuschlag sei, hofft Breton. Das sieht der 65-Jährige, der Anfang des Jahrtausends Chef von France Télécom war, als Verbesserung an: "Als Vorstandsvorsitzender wäre ich froh gewesen, solch einen Werkzeugkasten gehabt zu haben."