Shell:Spar-Kommissar ohne Glaskugel

Der Ölpreis wird noch lang niedrig bleiben. Gut für die Verbraucher, schlecht für die Mitarbeiter.

Von Björn Finke, London

Ben van Beurden führt einen milliardenschweren Weltkonzern, doch für seine Präsentation hat sich der Niederländer ausgerechnet das Gildenhaus der Kurzwaren-Händler in London ausgesucht. In einem holzgetäfelten Saal steht der Chef von Royal Dutch Shell auf der Bühne; von den überdimensionalen Gemälden an den Wänden schauen wichtige Menschen aus vergangenen Jahrhunderten streng auf ihn und seine Zuhörer hinab. Der 57-Jährige stellte am Donnerstag die erwartet schlechten Geschäftszahlen für das abgelaufene Quartal vor - und verkündete, das Sparprogramm zu verschärfen und allein in diesem Jahr 6500 Stellen zu streichen.

Der Absturz des Ölpreises seit vorigem Sommer belastet Europas größten Öl- und Gaskonzern (Chart). Und nicht nur ihn: Die ganze Branche leidet darunter, und die Antworten der Rivalen fallen sehr ähnlich aus. Sie kappen Investitionen und Arbeitsplätze; sie verkaufen Bereiche, die nicht mehr als vielversprechend genug erscheinen. Experten erwarten zudem weitere Fusionen, weil Firmen ihre Kräfte bündeln wollen. Shell etwa übernimmt den britischen Konkurrenten BG für 64 Milliarden Euro.

Shell-Chef van Beurden wagte im Reich der Kurzwaren-Händler eine Prognose, die schlecht für ihn und seine 94 000 Angestellten ist, aber gut für die Verbraucher: "Ich habe keine Glaskugel, doch der Ölpreis könnte noch mehrere Jahre niedrig bleiben", sagte er. "Ohne Zweifel sind das gerade sehr herausfordernde Zeiten für die Branche." Bei seinem Unternehmen führte das billige Öl dazu, dass der Quartalsgewinn um mehr als ein Drittel auf 3,8 Milliarden Dollar fiel. Am Dienstag schon hatte der heimische Rivale BP über einen Milliardenverlust berichtet, wegen der niedrigen Notierung und wegen einer hohen Strafe für die Ölpest im Golf von Mexiko. Die jüngsten Zahlen der Konkurrenten Statoil und Eni litten auch unter dem Preisverfall. An diesem Freitag informiert der amerikanische Weltmarktführer Exxon-Mobil über seine Geschäfte.

Excess gas is burned off near workers at the Rumala oil field

Auf einem Ölfeld im Irak wird überschüssiges Gas abgefackelt: Die Branche ist weltweit in Turbulenzen, der niedrige Ölpreis belastet die Konzerne.

(Foto: Atef Hassan/Reuters)

Die britische Beratungsgesellschaft Wood Mackenzie schätzt, dass die Branche seit dem Absturz des Ölpreises neue Projekte mit einem Investitionsvolumen von 200 Milliarden Dollar auf Eis gelegt hat. Probebohrungen werden verschoben oder abgesagt, Investitionen in Ölfelder bleiben aus, Pläne für Raffinerien werden beerdigt. Logische Folge: Stecken die Konzerne heute weniger Geld in die Erschließung neuer Reserven, werden sie in Zukunft weniger Öl und Gas fördern können. Denn die bestehenden Quellen werden irgendwann erschöpft sein; dann brauchen die Unternehmen ausreichend Ersatz.

Ursache der niedrigen Notierungen ist zum einen die schleppende Weltkonjunktur. Das dämpft die Nachfrage. Zum anderen erhöhte der Boom bei Schiefergas in den Vereinigten Staaten das Angebot.

Van Beurden kündigte an, im laufenden Jahr nur 30 Milliarden Dollar zu investieren, ein Fünftel weniger als im Vorjahr. Lediglich zwei größere Projekte würden 2015 genehmigt, sagte der Chemie-Ingenieur. Viele andere Vorhaben müssten warten oder fielen weg. Der Vorstand müsse "harte Entscheidungen" treffen; es gelte, die wettbewerbsfähigsten Projekte herauszufiltern: jene, die sich auch bei einem niedrigen Ölpreis lohnen.

Die Branche hat Projekte im Wert von 200 Milliarden Dollar auf Eis gelegt. Gewaltig

Nach der Übernahme von BG, die Anfang 2016 abgeschlossen sein soll, will der Niederländer außerdem Geschäftsbereiche von Shell und BG im großen Stil verkaufen. In den drei Jahren bis 2018 soll das insgesamt 30 Milliarden Dollar einspielen. Dabei hat Shell bereits für die Jahre 2014 und 2015 mit Verkaufserlösen von zusammen 20 Milliarden Dollar kalkuliert. Am Donnerstag konnte das Unternehmen mit Sitz in London und Den Haag einen weiteren Abschluss vermelden: Es trennt sich von einem Drittel der Anteile an der japanischen Tochter Showa Shell Sekiyu. Der Käufer, der dortige Öl-Konzern Idemitsu, überweist 1,4 Milliarden Dollar.

Shell: SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

Nach den ganzen Verkäufen soll Shell ein Unternehmen sein, das sich auf weniger, aber dafür größere Projekte konzentriert, sagte der Vorstandschef. Viele Hoffnungen setzt er auf das Geschäft mit Flüssiggas. Hierbei wird Gas nach der Förderung in flüssige Form gebracht und kann dann ohne Pipelines mit besonderen Schiffen um die Welt transportiert werden. BG ist ein wichtiger Anbieter von Flüssiggas.

Eine weitere Säule des Unternehmens soll die Förderung auf hoher See, aus großen Wassertiefen sein. Dort warten riesige Reserven darauf, angezapft zu werden, aber die Vorhaben sind technisch aufwendig. In diesem und dem kommenden Jahr unternimmt Shell Probebohrungen vor der Küste Alaskas, in der Arktis. Umweltschützer klagen, dies gefährde einen der letzten unberührten Flecken des Planeten.

Spar-Kommissar van Beurden will an diesem Projekt festhalten. "Es ist schwierig", sagte er, doch die Reserven dort seien gewaltig. Finde Shell wirklich Öl und lasse es sich wirtschaftlich fördern, werde er weiter investieren. Die Produktion würde aber erst in 15 Jahren beginnen können: "Daher machen wir Entscheidungen darüber nicht vom Ölpreis heute abhängig."

Gute Nachrichten hat van Beurden für die Aktionäre parat. Trotz niedrigerer Gewinne bleibt die Dividende unverändert. So leiden zumindest nicht die Anteilseigner unter dem Sparkurs. Schön für sie.

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