Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie:Chinesischer Tesla rockt die Show

Von BMW, Daimler und VW ist bei der Automesse in Shanghai wenig zu hören. Stattdessen gibt sich ein chinesischer Hersteller selbstbewusst, der auch ein Büro in München hat.

Von Christoph Giesen und Max Hägler, Shanghai/München

Pressekonferenz kurz nach neun Uhr bei BMW in Shanghai. Konzernstatthalter Jochen Goller kommt auf die Bühne. "Dieses Land prägt die weltweiten Trends in der Automobilindustrie", lobt er China. Danach fahren zwei Elektroautos mit maßlos überdimensionierten Kühlern vor. Wozu man diese bei einem E-Auto überhaupt noch braucht, ist mindestens genau rätselhaft wie diese Pressekonferenz. Denn: Fragen sind nicht vorgesehen, Antworten noch weniger. Auch die üblichen kleinen Hintergrundrunden hinter der Bühne gibt es dieses Jahr nicht.

45 Minuten später dasselbe Verfahren, diesmal am Stand von Volkswagen. Erst ein Werbefilm mit übersteuerter Popmusik, dann tritt Stephan Wöllenstein, der VW-Chef in China auf. Im Gegensatz zu seinem BMW-Kollegen, der Englisch gesprochen hatte, radebrecht er auf Chinesisch. Und wieder keine Fragen. Um 10.40 Uhr ist dann Mercedes mit seiner Präsentation dran. Der einzige nennenswerte Unterschied: Nach dem Videogruß von Konzernchef Ola Källenius rollt erst einmal ein Maybach herein. Ein großer, teurer Verbrenner, statt eines Elektrowagens. Und immerhin ist hier ein Mitglied des Konzernvorstands vor Ort. Hubertus Troska ist damit bei dieser Messe wohl der ranghöchste Repräsentant der deutschen Autoindustrie.

Dass die Deutschen nur eine solch sparsame wie schweigsame Darbietung geben, hat nichts mit dem Markt zu tun. Der ist wichtig wie nie; mittlerweile wird jedes dritte Auto in diesem Land verkauft. China hat zudem die Corona-Pandemie extrem schnell eingehegt, und mit wahrscheinlich 25 Millionen verkauften Wagen in diesem Jahr kann die Gesundheits- und Wirtschaftskrise bald mehr als vergessen sein. Aber damit das Virus nicht doch wieder wütet, hat sich China abgeschottet - das verunmöglicht selbst für Dax-Konzernchefs die Anreise.

Umso deutlicher sticht so heraus, wer in Shanghai ist und echte Antworten gibt an diesem Morgen: William Li, der Gründer des chinesischen Elektro-Start-ups Nio. Das Unternehmen ist kaum älter, als ein regulärer Entwicklungszyklus bei BMW oder Volkswagen dauert. An der Börse in New York ist Nio bereits wertvoller als Daimler. Und auf den Straßen in Peking oder Shanghai sieht man die Elektro-Geländewagen von Nio immer häufiger fahren, die übrigens auch in einer Dependance in München-Bogenhausen gestaltet wurden. Für viele Chinesen scheint Nio bereits so etwas wie die Antwort aus Fernost auf Tesla zu sein.

Diese so junge Marke will nun expandieren, aus den bislang vagen Ankündigungen scheint ein Plan geworden zu sein, das ist die Nachricht des Tages: "Wir werden in diesem Jahr nach Europa kommen", sagt Li. Bislang sind die meisten Exportversuche chinesischer Hersteller in Europa schiefgegangen. Als einer der ersten probierte es vor gut 15 Jahren die Firma Landwind mit einem Geländewagen - selten hat ein Auto einen Crashtest versehrter absolviert als jenes Gefährt.

Willam Li ist jedoch zuversichtlich, dass Nio mit seinen im Premiumbereich angesiedelten Fahrzeugen überall konkurrenzfähig ist. Zwar seien die Autos der Deutschen auch in China noch begehrter, wegen ihrer besseren Qualität im Vergleich zu einheimischen Produkten. "Aber", sagt Li, "ich glaube, wir haben einen Vorsprung bei der Technik." Und er hat auch gleich ein paar Ratschläge für die in Shanghai so sprachlose Konkurrenz aus Deutschland übrig. Was der größte Nachteil deutscher Unternehmen sei? "Ich denke, ihre größte Schwäche ist, dass sie zu mächtig sind." China werde deshalb die kommende führende Autonation sein.

Ist das übertrieben, zumal wenn man bedenkt, dass sich Nio noch vor zwei Jahren im Existenzkampf befand, die geplante eigene Fabrik aufgeben musste und nur knapp der Pleite entkam? "Die Autos von denen sind gut, wie etwa auch jene des chinesischen Herstellers Xpeng", sagt Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. "Das ist kein Wolkenkuckucksheim mehr, das ist ernst zu nehmen." In den Zahlen zeigt sich das schon: Nio verkaufte in China mehr Wagen als Jaguar oder Mini.

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