Harvey Weinstein, Louis C. K., Kevin Spacey, John Lasseter und so weiter. Die prominentesten Männer, deren sexuelle Übergriffe seit der "Me-Too"-Bewegung bekannt wurden, sind Amerikaner. Genau zwei Jahre ist es her, dass sich Opfer getraut haben, mit den Vorfällen an die Öffentlichkeit zu gehen, und daraufhin Abertausende Frauen mit dem Schlagwort "Me-Too" zu erkennen gaben, dass auch sie schon sexuellen Missbrauch oder Belästigung erlebt haben - viele von ihnen am Arbeitsplatz. Doch das Ganze ist kein amerikanisches Phänomen.
Im europäischen Vergleich sind es die deutschen Frauen, die am häufigsten Belästigungen bei der Arbeit erleben. 68 Prozent aller befragten Frauen in Deutschland mussten laut einer gerade veröffentlichten Umfrage schon einmal ernste oder weniger ernste Übergriffe verkraften. Es fängt an mit anzüglichen Kommentaren, Pfiffen oder Gesten, geht weiter mit eindeutigen E-Mails oder SMS mit Bildern von Geschlechtsteilen, die sie nicht sehen wollten, oder mit Händen auf Hintern und endet bei Druck, den Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden machen, mit ihnen ins Bett zu gehen - und im Gegenzug Jobs, Beförderungen oder Aufträge versprechen.
Diese extreme sexuelle Belästigung kam zwar deutlich seltener vor als blöde Sprüche und unerwünschte Berührungen. Trotzdem haben es noch immer acht Prozent der befragten Deutschen mindestens einmal in ihrer Karriere erlebt. Das klingt zwar wenig, sind aber hochgerechnet auf das ganze Land Tausende Frauen.
Die meisten sprechen nicht mit dem Chef darüber
Die Umfrage im Auftrag der politisch eher links angesiedelten Brüsseler Stiftung Foundation for European Progressive Studies (FEPS) und ihrer französischen Partnerorganisation Fondation Jean-Jaurès war groß angelegt. Insgesamt hat die Marktforschungsfirma Ifop im Auftrag der Stiftungen im vergangenen April mit mehr als 5000 Frauen gesprochen, je mehr als 1000 aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland. 60 Prozent der Europäerinnen erleben demnach Sexismus am Arbeitsplatz. "Die Zahlen zeigen, dass noch viel getan werden muss, um die Mentalität und die Kultur zu verändern", sagte ein FEPS-Sprecher.
Nur 13 Prozent der Frauen, die unangemessen berührt wurden, und 16 Prozent derjenigen, die jemand versucht hat, in eine sexuelle Beziehung zu drängen, gaben an, mit jemandem wie einem Vorgesetzten darüber gesprochen zu haben.
61 Prozent der Frauen, die sich selbst als "nicht hübsch" bezeichneten, hatten schon mindestens einmal Erfahrungen mit verschiedenen Arten der Belästigung. Mehr als ein Fünftel aller Übergriffe passierten in den vergangenen zwölf Monaten vor der Umfrage. Sexismus ist also offensichtlich nicht aus den Büros, Fabriken, Läden, Lagern und anderen Arbeitsplätzen verschwunden seit "Me-Too" ein Begriff geworden ist, den die meisten Menschen kennen.