Sewing folgt auf Cryan:Machtwechsel bei der Deutschen Bank

Christian Sewing

Christian Sewing, startete 1989 seine Karriere bei der Deutschen Bank als Auszubildender in einer Bielefelder Filiale.

(Foto: dpa)
  • Christian Sewing, 47, wird neuer Vorstandschef der Deutschen Bank.
  • Nachdem viele externe Kandidaten nicht zur Verfügung standen, zog der Aufsichtsrat Sewing dem anderen Kandidaten Marcus Schenck vor.
  • Sewing startete seine Karriere als Auszubildender in einer Bielefelder Filiale und diente sich in 30 Jahren bei der Deutschen Bank hoch.

Von Meike Schreiber und Jan Willmroth

Das Signal war deutlich, und John Cryan wird es verstanden haben. Vor einem Jahr stellte ihm sein Aufsichtsratsvorsitzender Paul Achleitner ungefragt zwei Stellvertreter an die Seite, ein Novum in der fast 150 Jahre langen Geschichte der Deutschen Bank. Zwei Kronprinzen, die sich fortan beweisen sollten, um Cryan früher oder später gemeinsam oder alleine abzulösen. Zwei Optionen, die Achleitner schuf, um den Vorstandschef vorzeitig zu ersetzen: Marcus Schenck, 52, Co-Vorstand für das Investmentbanking, und Christian Sewing, 47, zuständig für das Privatkundengeschäft. Seinen bis Mai 2020 laufenden Vertrag, das war von da an klar, würde Cryan wohl nicht mehr erfüllen.

Nach zwei dramatischen Wochen und einer veritablen Führungskrise steht jetzt der Machtwechsel bevor. Es ist der dritte innerhalb von sechs Jahren. Sewing, fast 30 Jahre im Konzern, soll Cryan beerben und damit die Probleme übernehmen, mit denen das Institut seit Jahren kämpft. Das teilte der Aufsichtsrat am Sonntagabend nach einer mehrstündigen Krisenkonferenz mit. Dreimal in Folge schrieb die Bank einen Verlust, sie hat den Anschluss verloren an die großen Konkurrenten in Europa und den USA, zu hohe Kosten, zu wenig Aussicht, bald wieder eine ausreichende Rendite zu erwirtschaften. Mehrere externe Kandidaten, das war bekannt geworden, hatten allerdings abgewunken.

Cryan verlässt die Bank zum Monatsende

Sewing übernimmt mit sofortiger Wirkung, Cryan verlässt die Bank zum Monatsende, Schenck zur Hauptversammlung im Mai. Sewing werden gleich zwei Vize-Vorstandschefs zur Seite gestellt, Investmentbankchef Garth Ritchie und Rechtsvorstand Karl von Rohr. Zudem erhält Postbank-Chef Frank Strauß die Allein-Verantwortung für das Privatkundengeschäft.

"Christian Sewing hat in seinen mehr als 25 Jahren bei der Deutschen Bank konstant bewiesen, dass er führungsstark ist und eine große Durchsetzungskraft hat", ließ sich Achleitner zitieren. Er dankte zudem Cryan, der Weichen für eine erfolgreichere Zukunft gestellt habe. "Nach einer umfassenden Analyse" sei der Aufsichtsrat "aber zum Schluss gekommen, dass es nun eine neue Umsetzungskraft in der Führung unserer Bank braucht."

Sewings Karriere begann in einer Deutsche-Bank-Filiale in Bielefeld. Man schrieb das Jahr 1989, die Deutschland AG bestand noch. Es war die Zeit, als der damalige Vorstandschef Alfred Herrhausen mit der Übernahme der US-Investmentbank Morgan Grenfell gerade die Grundlage schuf für den Aufstieg der Deutschen Bank zu einem der größten und wichtigsten Finanzinstitute des Planeten.

Mit der Bedeutung des Hauses wuchs Sewings Verantwortung, Stück für Stück,er ging nach Hamburg, Toronto, Tokio und London, wo in den 2000er-Jahren der spätere Vorstandschef Anshu Jain mit seinem Team den Ton angab und im Handel mit Wertpapieren Milliarden für die Bank verdiente.

"Ob er es kann, muss er erst beweisen"

Jahrelang arbeitete Sewing an der Seite des früheren Risikovorstands Hugo Bänziger, kam weiter nach oben, wurde Vize-Risikochef und Anfang Januar 2015 Vorstand für den Konzernbereich Recht, dann für Privatkunden. Seit Anfang 2017 durfte er sich Vize-Vorstandschef nennen. Aber hat er bereits das Format für mehr, für einen der schwierigsten Jobs in der weltweiten Finanzindustrie? Hatte er dafür ausreichend Kundenkontakt? Dass er nun zwei Vize-Chefs an die Seite bekommt, unterstreicht die Zweifel. "Ob er es kann, muss er natürlich erst beweisen", hieß es am Sonntag in Aufsichtsratskreisen. "Aber das Privatkundengeschäft hat er gut im Griff."

In Kürze wird Sewing die ganze Bank in den Griff bekommen müssen, was Cryan zumindest nach Ansicht einflussreicher Investoren nicht gelang. An der vor zwei Jahren beschlossenen Richtung, sie als globale Universalbank mit umfangreichem Investmentbanking fortzuführen, soll nichts verändert werden. Nicht die Strategie sei das Problem, ist Achleitner weiterhin überzeugt, sondern deren Umsetzung.

Externe Kandidaten winkten ab

Sewing mag als Nachfolger installiert gewesen sein, viele haben ihm bis zuletzt das Format für die Aufgabe abgesprochen. Er solle erst beweisen, dass er die Tochter Postbank in den Konzern integrieren könne. Zugleich aber näherte sich der Aktienkurs der Bank wieder Tiefständen. Als die Geduld der wichtigsten Aktionäre aufgebraucht war, ließ Achleitner bei ehemaligen Topbankern suchen. Sie alle winkten ab. Aber es wäre auch kaum einer der Kandidaten zu vermitteln gewesen: "Etwas anderes als Sewing hätte Achleitner bei den Arbeitnehmern und auch bei der Kapitalseite nicht durchbringen können", sagt ein ehemaliger Aufsichtsrat, der Sewing lange kennt. Schenck hatte kaum Chancen - sein Bereich lief nur mittelmäßig.

Die Gespräche mit potenziellen Cryan-Nachfolgern waren wenige Tage vor Ostern durchgesickert. Der 57-jährige Brite verschickte daraufhin eine Botschaft an alle Mitarbeiter und machte deutlich, dass er um seinen Job kämpft. Achleitner, zu dieser Zeit im Urlaub in den Anden, schwieg, ließ die Demontage geschehen. Vonseiten der Bank gab es keinerlei offizielle Stellungnahme. Schon vorher galt das Verhältnis zwischen ihm und Achleitner als zerrüttet. Letzterer macht den Vorstandschef dafür verantwortlich, dass die Strategie nicht greift. Jetzt kam es endgültig zum Bruch.

Der Sparzwang wird sich weiter verschärfen

Durch Sewings Berufung bricht Achleitner auch mit seinem Protegé Marcus Schenck und riskiert damit einen Aufstand der Investmentbanker. Kaum waren Schenck und Sewing ernannt, inszenierten sie das Bild eines Prinzenduos, das seine Männerfreundschaft bei Bier und Fußball zelebrierte. Das ist nun hinfällig. Schenck hatte wie Achleitner bei Goldman Sachs Karriere gemacht, bevor er 2015 in den Vorstand der Deutschen Bank aufrückte, zunächst als Finanz- und zuletzt mit Garth Ritchie als Investmentbanking-Chef. In wenigen Wochen dürfte Schenck sein Büro räumen, Ritchie wird das Investmentbanking zunächst allein weiterführen.

Derweil spüren die ohnehin verunsicherten Deutschbanker an kleinen Details im Alltag, wie ernst die Lage ist. Am Standort Eschborn, wo früher der Kaffee umsonst war, müssen sie seit Anfang April 50 Cent pro Tasse zahlen. Unter Sewing, das ist sicher, wird sich dieser Sparzwang weiter verschärfen.

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