Christian Sewing machte sein Abitur in Bielefeld. Eigentlich wäre er gerne Sportjournalist geworden, doch der Vater bestand auf einer anderen Berufsausbildung. Und so absolvierte er bei der Deutschen Bank in Bielefeld eine Lehre mitsamt berufsbegleitendem Studium an der Bankakademie. Drei Jahrzehnte später ist der "Christian", wie ihn in der Bank viele rufen, ganz oben in der Frankfurter Konzernzentrale angelangt: Vorstandschef. Doch noch immer lebt der inzwischen 49-Jährige mit seiner Familie in Osnabrück. Der Lebenslauf wirkt bodenständig. Sewing selbst betont das ganz bewusst immer wieder.
Das ist an sich schon bemerkenswert. Denn in den vergangenen 20 Jahren hatten bei den "Blauen" vornehmlich weltgewandte, internationale Investmentbanker vom Schlage eines Josef Ackermann und Anshu Jain das Sagen. Sie galten als smarte Typen, standen für die Zukunft der Deutschen Bank. Inzwischen weiß man, dass ihre riskanten Geschäfte der Bank schadeten; einzig Investmentbanker profitierten. Früher gaben sich die Chefs der Deutschen Bank gern als "Global Player". Heute kokettiert Sewing mit seiner westfälischen Herkunft. Er sagt, die Westfalen seien zuweilen stur, aber stets hätten sie ein langfristiges Ziel im Blick. Er sei froh, diesen regionalen Hintergrund zu haben, das brauche "unsere Bank" jetzt. Welch markanter Kontrast zu seinem Vorvorvorgänger Ackermann. Der Schweizer war der Überzeugung, die Bank brauche vor allem eines: 25 Prozent Eigenkapitalrendite.
Sewing wird respektiert, denn er hat sich von unten hochgearbeitet
Sewing, der fast sein ganzes Berufsleben bei der Deutschen Bank verbracht hat, muss die explosionsartig aufgeblähte Investmentbanking-Abteilung nun rückabwickeln. Daran ist sein Vorgänger John Cryan gescheitert, die Investmentbanker sind immer noch eine Macht im Haus. Sewing könnte es indes erstmals gelingen, den entrückten Herren des Geldes die Boni und auch ihre Jobs zu nehmen. Sewing genießt im Haus Respekt. Schließlich hat er sich von unten hochgearbeitet, hat der Bank nach einem kurzen Ausflug zur Konkurrenz die Treue gehalten und weiß, wie die Mechanismen dort funktionieren. Diese Erfahrung dürfte ihm aktuell bei der Durchsetzung seines Machtanspruchs geholfen haben. Künftig wird Sewing das Investmentbanking persönlich leiten, meldete die Deutsche Bank am Freitagnachmittag. Der bisherige Chef, Vorstandsmitglied Garth Ritchie, musste zurücktreten. Der Südafrikaner war zuletzt scharf kritisiert worden. Er kassierte so viel Gehalt wie kein anderer Vorstandskollege, gleichzeitig fehlten ihm Drang und Ideen, die Sparte neu aufzustellen. Ein Investmentbanker alter und nun vergangener Schule.
Allgemein wird erwartet, dass Sewing am Sonntag Tausende Stellenstreichungen im Investmentbanking-Sektor verkündet. Das würde auch einen Bruch mit Teilen seiner eigenen beruflichen Vergangenheit bedeuten. In London hat er von 2007 an als Risikomanager einige Jahre das Investmentbanking der Deutschen Bank beaufsichtigt. Hat er damals nicht gemerkt, was sich anbahnte? Vorher war er für die Bank schon in Singapur und Tokio tätig. Den Lehrling von 1989 hatte Sewing da bereits lange hinter sich gelassen.
Auch der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer begann als Lehrling. Das schützte ihn später nicht vor Schadenersatzforderungen des eigenen Hauses. Sewing hat wohl nur diese eine Chance. Er muss den Drachentöter geben, um die Bank zu dem zu machen, was sie vor dem Ausflug ins globale Investmentbanking war: eine vertrauenswürdige Adresse für Bankgeschäfte.