Serie: Leben mit dem Niedrigzins:"Nicht genug Geld, um zu sparen"

Dem Freiberufler Gerd K. kann der Niedrigzins egal sein, weil er gar nichts zurücklegen, investieren oder einen hohen Kredit aufnehmen kann. Vielen Deutschen geht das so.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Gerd K. kennt die öffentliche Debatte um den Nullzins. Er liest darüber in den Zeitungen. Doch eigentlich interessieren ihn eher kulturelle Themen. Der 50-jährige freischaffende Pädagoge räumt deshalb gleich ein, dass "er nicht wirklich was von Geldpolitik versteht".

Vielleicht war diese Aussage ein wenig kokett gemeint, denn die Worte, die folgen, könnten den Sachverhalt kaum besser beschreiben. "Wenn die Zentralbank keine Zinsen an die Banken vor Ort zahlt, dann kommen auch bei mir keine Zinsen für mein eingelagertes Geld an", sagt der Sprachwissenschaftler und fragt dann rhetorisch: "Habe ich das richtig verstanden?"

Ja, hat er. Gerd K. hat sogar noch mehr verstanden: Dass ihn der Niedrigzins, über den alle Welt so laut klagt, ganz und gar nicht berührt. "Ich habe gar nicht genug Geld, um zu sparen. Was ich jeden Monat einnehme, geben wir in der Familie auch wieder aus." Gerd K. möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er will vermeiden, in der Öffentlichkeit wie einer dazustehen, der womöglich weniger Geld hat als andere.

Der Familienvater ist mit seinem Leben ziemlich zufrieden. Doch er spürt, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft zunimmt, auch wegen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die den Leitzins auf null Prozent gesenkt hat und von den Banken sogar einen Strafzins auf Einlagen verlangt. "Mich als Otto-Normal-Sparer ärgert, dass es letztlich existenziell immer diejenigen trifft, die sowieso wenig besitzen", sagt er. "Wenn Leute wie ich nur noch mickrige Zinsen bekommen, dann ist das ein größerer Schaden als für vermögende Leute. Für uns zählt ja jeder Euro. Die Reichen haben sowieso genug, wahrscheinlich investieren sie auch eher in Aktien und Immobilien als mit dem Sparbuch."

EZB-Präsident Mario Draghi wird vor allem in Deutschland seit Jahren scharf kritisiert. Der Italiener hat den Leitzins in den vergangenen Jahren sukzessive auf null Prozent abgesenkt. Das gab es noch nie. Der Vorwurf hierzulande: Seine Zinspolitik schade den Pensionskassen und Versicherungen. Die Altersvorsorge sei gefährdet. Zudem schade der Niedrigzins den deutschen Sparern.

Doch dabei wird häufig vergessen, dass es in Deutschland viele Menschen wie Gerd K. gibt. "40 Prozent der deutschen Haushalte haben praktisch kein Nettovermögen. Das bedeutet, diese Menschen konnten in ihrem Berufsleben nie viel ansparen", sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Denen kann es im Prinzip egal sein, ob der Zins hoch oder niedrig ist. Sie haben sowieso keine Überschüsse zum Sparen."

Der Ökonom prangert die Ungleichheit in Deutschland an. Es sei das Land in der Euro-Zone mit der höchsten Vermögensungleichheit. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung, sagt Fratzscher, besäßen rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens - in das etwa auch Immobilien hineingerechnet werden. Der durchschnittliche Haushalt in Deutschland verfüge über ein Drittel des Vermögens des durchschnittlichen Haushalts in Spanien oder Italien. Daher könne es nicht überraschen, dass der Niedrigzins viele Menschen in Deutschland überhaupt nicht treffe, vor allem in Berufsgruppen aus der Mittelschicht: Büroangestellte, Mitarbeiter der Bäckereien sowie die Industriearbeiter in kleinen Unternehmen.

Doch obwohl die EZB-Niedrigzinspolitik diese Menschen eigentlich nicht tangiert, sehen sie die Folgen trotzdem kritisch. Fratzscher hat eine Erklärung: "Das ist der Angst vor Altersarmut geschuldet. Die Menschen spüren, dass es knapp wird als Rentner. Dabei wird die künftige Höhe der gesetzlichen Rente, die für diese Menschen die einzige Absicherung darstellt, vom Nullzins überhaupt nicht beeinflusst", sagt der DIW-Präsident. Da werde seitens der Politik eine völlig falsche Stimmung geschürt. Der Niedrigzins betreffe nur diejenigen, die ihr Erspartes in festverzinslichen Wertpapiere anlegen, so Fratzscher, also etwa Staats- und Unternehmensanleihen. "Alle anderen, die Vermögen haben, profitieren vom Niedrigzins. Sie investieren in Aktien, deren Kurse steigen, und in Immobilien, deren Wert steigt und für die es rekordgünstige Kredite gibt."

In der Tat war es noch nie so günstig, sich für eine Immobilie zu verschulden. Die Preise sind entsprechend gestiegen. In den deutschen Ballungszentren um 30 bis 40 Prozent. Doch Gerd K. bekäme keinen Kredit, zumal die Preise für Wohnungen jetzt zu hoch sind. "Ich kann aufgrund meines Besitzstandes keine ordentlichen Renditen erwirtschaften - weder bei Kapitalgeschäften noch durch Investitionen in Unternehmen", sagt er. Das existenzielle Risiko sei viel zu hoch. "Alles, was ich investieren würde, ginge mir vom Lebensunterhalt ab."

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