Serie: Die Angreifer:Bezahlen per Handtasche

JAPAN NTT MOBILES

Bargeld überflüssig: In Tokio zahlen junge Menschen nur noch mit Karte oder Handy.

(Foto: Andy Rain/BBG)

Ob für die S-Bahn oder den Imbiss, Japaner benutzen gern aufladbare Geldkarten. Zum Beispiel die Pasmo-Karte. Münzen haben sie immer seltener dabei. Das ist nicht nur in Tokio so, sondern auch in vielen anderen Großstädten und im benachbarten Ausland.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Es gibt Tage, an denen Kaori kein einziges Mal mit Bargeld zahlt. Auch nicht mit Kreditkarte. Geht sie durch die Ticket-Schranke der Odakyu-Linie, einer S-Bahn, hält sie ihre Handtasche über den Sensor. Die Schranke tutet, öffnet sich, eine kleine Anzeige zeigt ihr Guthaben: 3241 Yen. Wenn sie sich in einem "Konvini", einem 24-Stunden-Laden, etwas zu knabbern holt oder eine Flasche Tee aus dem Getränkeautomaten zieht, erledigt die Japanerin das ebenfalls mit der Handtasche. Und zahlt damit auch in manchen Supermärkten. Sogar der Parkplatz fürs Fahrrad wird direkt von der Handtasche abgebucht.

In Kaoris Tasche steckt eine "Pasmo"-Karte, eine elektronische Zahlkarte, die sie am Fahrkartenautomaten jeweils mit 5000 Yen auflädt. Das reicht für etwa eine Woche. Wenn sie die Karte ohne Berührung über einen Sensor streift, bucht das System den nötigen Betrag ab. Auch durch den Handtaschenboden. Die Pasmo-Karte enthält einen Felica-Chip von Sony, ihre Energieversorgung erfolgt bei jeder Benutzung über Induktionsstrom.

Die 22-Jährige kann sich kaum mehr erinnern, die Bahn je anders bezahlt zu haben. Die Pasmo-Karte wurde 2007 von den Privatbahnen und der U-Bahn in Tokio eingeführt, inzwischen sind 25 Millionen Pasmos im Umlauf. Von "Suica", der Karte von Japan Rail (JR), den früheren Staatsbahnen, gibt es sogar 45 Millionen. Suica wurde schon 2001 eingeführt, seit 2003 kann man mit ihr am Bahnhofskiosk einkaufen.

Die beiden Systeme sind längst zusammengeführt, man kann überall beide Karten benutzen. Mehr als 80 Prozent aller Bahnfahrten in Tokio werden elektronisch bezahlt. Felica-Karten gibt es auch in anderen Großstädten Japans, die Integration der Systeme geht rasch voran. Bald soll jede Karte in allen Städten funktionieren. Suica und Pasmo haben damit de facto den Standard für Japan festgelegt.

In Zukunft sollen die Karten auch im nahen Ausland verwendet werden können, so in Hongkong, dessen "Octopus"-Karte, auch mit Sonys Felica-Chip, es schon mehr als 20 Jahre gibt. Beim Kauf der Karte werden Name, Vorname, Jahrgang und Telefonnummer des Inhabers auf dem Pasmo gespeichert. Wer anonym bleiben will, tippt beim Kauf seiner Pasmo-Karte am Automaten einfach einen Fantasie-Namen ein. Pasmo und Suica gibt es auch in Kombination mit einer Kreditkarte. Indes waren Kreditkarten in Japan nie sehr populär. Japan war lange ein Bargeld-Land. Heute benutzen viele Kreditkarten für Online-Einkäufe, doch auch dafür gibt es Alternativen. Große Anbieter wie Rakuten und Google verkaufen über den Einzelhandel Online-Zahlkarten. Das Problem, Kindern eine Ermäßigung auf Bahnfahrten zu gewähren, wird übrigens "low-tech" gelöst. Statt zu tuten, wenn sie eine Zahlung akzeptiert hat, zwitschert die Ticket-Schranke. Jeder weiß dann: Das war eine ermäßigte Karte.

Die Pasmo-Karte sei "sowas von gestern", findet Kaoris ältere Schwester Yuka. Sie zahlt nicht mit der Handtasche, sondern streift ihr Smartphone über den Sensor. Japans Mobiltelefon-Anbieter haben ihre Handys seit 2004 mit dem Felica-Chip für die sogenannten NFC-Chips (Near Field Communication) ausgestattet, lange bevor es Smartphones gab. Inzwischen zahlen 21 Millionen Japaner mit dem Mobiltelefon, fast ein Fünftel aller Handy-Nutzer. Als Apple im Oktober das iPhone 6 mit "Apple Pay" vorstellte, rieb sich Ostasien die Augen: Was ist daran neu? Der Smartphone-Besitzer kann das sogenannte Osaifu-Keitai, übersetzt Portemonnaie-Handy, mit einer App selbst aktivieren, mit Geld aufladen und als Pasmo nutzen. Ein Android-Smartphone mit NFC kann auch eine Kreditkarte sein, und für Japan Airlines die Bordkarte - die es fürs Handy auch als Barcode-App gibt. Gleichzeitig kann es Punkte oder Meilen sammeln. Der Felica-Chip ist in der Lage, mehrere Prozesse gleichzeitig abzuwickeln. Andere E-Tickets hat der moderne Japaner als Barcode auf dem Smartphone.

Umgekehrt kann der Felica-Chip im Handy von jeder Pasmo-Karte die damit bezahlten Bahnfahrten entschlüsseln. Es kursierten schon Gerüchte, die Bahnen verkauften Kundendaten. Gleichwohl gibt es in Japan keine Debatte über Datenschutz.

Taizo Son, ein Bruder des Softbank-Gründers Masayoshi Son und selbst erfolgreicher Internet-Unternehmer, hat mehrere Einrichtungen geschaffen, die jungen Firmengründern auf die Beine helfen. 220 Start-ups haben davon bereits profitiert. Eine Fintech-Firma, also eine, die neue Hightech-Finanzdienstleistungen anbietet, war nicht dabei. "Die Vorschriften sind viel zu kompliziert", sagt er. Sie schirmen traditionelle Banken gegen Angreifer ab.

Die Eisenbahngesellschaften haben mit Sonys Hilfe das bargeldlose Bezahlen von Kleinbeträgen schon ermöglicht, als andere erst anfingen, darüber nachzudenken. Damals kamen Innovationen in Japan noch von der Großindustrie. Mit ihrem festen Zugriff auf die Pasmo- und Suica-Karten der Verbraucher und mehr und mehr auch auf die Daten in Smartphones schaffen die Eisenbahner neue Anwendungen. Sie haben das Geschäft des elektronischen Bargelds zu einer unangreifbaren Festung ausgebaut, die zu attackieren bisher kein Start-up wagt.

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