Serie: 24 Ökonomen:Bildung, was sonst?

Der Münchner Bildungsforscher Ludger Wößmann kann Daten lesen und daraus klare Ansichten formulieren.

Von Johann Osel

Am Frühstückstisch bei Familie Wößmann gibt es zuweilen Aha-Effekte. Nicht in der Form, dass die drei Kinder - sechs, neun und elf - dem Familienvater neue Ideen für seine Forschung zutragen, durch ihre Erlebnisse im Bildungssystem. Es ist umgekehrt: Ludger Wößmann, 42, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und Leiter des Zentrums für Bildungsökonomik am Ifo-Institut, erkennt da zwischen Tee und Brötchen: Die individuelle Erfahrung bestätigt seine Sicht der Dinge, passt zu diesem oder jenem Modell.

Wößmanns Arbeiten hantieren meist mit Schülerdaten en gros. Sie drehen sich um die Frage, was langfristigen Wohlstand, schulische Leistungen und Chancengerechtigkeit beeinflusst; und wie erfolgreiche oder versäumte Bildung sich auf die Volkswirtschaft auswirkt, als Impuls oder als Kostenfaktor. Systematisch, mit repräsentativen Daten. Es gibt in Deutschland ja bekanntlich nicht nur 80 Millionen Bundestrainer, die ihre Wunschaufstellung für Fußballspiele als Ideal preisen, sondern es gibt gleichermaßen 80 Millionen Bildungsminister. "Das ist auch ein Problem", sagt Wößmann. "Jeder ist Experte, jeder war mal Schüler und hat seine eigene Perspektive, die er auf das Gesamtsystem überträgt." Mit aussagekräftigen Daten sehe man dagegen, dass sich eigene Erfahrung manchmal verallgemeinern lässt, Stichwort: Gespräch am Frühstückstisch. "Oft aber gerade nicht. Die Wissenschaft kann vernünftige Positionen entwickeln, und wird nicht nur in der Talkshow aus dem Bauch heraus die Meinung kundtun."

24 Deutsche Ökonomen, auf die es ankommt

In der Volkswirtschaftslehre findet ein Generationswechsel statt. Die SZ stellt immer dienstags und donnerstags die neuen Köpfe vor: "24 deutsche Ökonomen, auf die es ankommt" - heute Teil 13. Bedingung: Die Porträtierten müssen unter 50 Jahre alt sein. Und die Besten ihres Fachs. Darunter sind in der Öffentlichkeit bekannte Namen, aber auch sehr kompetente Wissenschaftler, die vor allem in der Fachwelt einen Ruf haben. Alle Folgen: sz.de/deutsche-oekonomen

Wößmann gilt mit Anfang 40 als einer der profiliertesten Bildungsökonomen der Republik. Er ist, eben durch das Metier, zu dem jeder Bürger einen Bezug hat und das seit dem Pisa-Schock einen neuen Stellenwert in der Gesellschaft einnimmt, medial präsenter als viele Vertreter seiner Zunft, der Volkswirtschaft. Und nicht zuletzt durch ein populärwissenschaftliches Buch - "Letzte Chance für gute Schulen - Die 12 großen Irrtümer und was wir wirklich ändern müssen" - hat er sich 2007 selbst in die Arena der Bildungsdebatten begeben, ist gefragter Experte, Interviewpartner, wenn ein Thema hochkocht, auch auf allergrößter Bühne, Tagesschau zum Beispiel. Dass Wößmanns Wort zählt, mag an seiner Art liegen, die westfälische Nüchternheit strahlt auf angenehme Weise das Gegenteil von Geschwätzigkeit aus, sie wird aber immer wieder durchbrochen von einer Prise Nonchalance in den Formulierungen. Mehr noch aber ist wohl das gefragt, was Wößmann vorzuweisen hat: Verlässlichkeit durch Daten.

Auf der Basis mischt er sich ein, politisch. Neulich etwa hat er zum Betreuungsgeld Stellung genommen und zunächst einen Gastbeitrag für die SZ geschrieben: Die bildungsökonomische Forschung beweist demnach, dass frühzeitige Investitionen in Bildung besonders effektiv sind, Lebenswege verändern und langfristige Arbeitsmarkterfolge hervorbringen. Wenn das Betreuungsgeld dazu führe, dass Kinder aus der Kita ferngehalten werden, dann wirke es kontraproduktiv. "Die finanziellen Anreize tragen dazu bei, gesellschaftliche Disparitäten zu zementieren, anstatt gesellschaftlichen Aufstieg zu erleichtern." Wenige Wochen später legt er dann nach, via Pressekonferenz. Die Deutschen halten wenig vom Betreuungsgeld, wollen aber mehrheitlich gebührenfreie Kita-Plätze. Das zeigte das von ihm in Berlin präsentierte Ifo-Bildungsbarometer. Eine repräsentative Umfrage, 4000 Bürger. Klare Ansichten, aber mit klaren Belegen. Ganz nach Wößmanns Geschmack.

Serie: 24 Ökonomen: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Lange dachten die Deutschen, sie hätten das beste System. Dann kam der Pisa-Schock

Er hat Volkswirtschaft studiert, klassisch, in Marburg und in den USA. Da waren es schon Themen wie Armut und gesellschaftliche Teilhabe, die ihn interessierten. Bildungsökonomische Forschung hat es in den Neunzigern hierzulande kaum gegeben, aus den Vereinigten Staaten kam der Trend. Bei einem Aufbaustudium am Kieler Institut für Weltwirtschaft widmete er sich Daten der internationalen Timss-Studie, einem Leistungsvergleich in Mathe und Naturwissenschaften. Das war Ende der Neunzigerjahre, als es die Pisa-Studie samt Schock noch nicht gab und solche Untersuchungen nur etwas für die Fachszene waren. Die Leistungen im Vergleich zu den Bildungsausgaben, solchen Fragen widmete sich der Volkswirt nun. Dann kam der große Knall - Pisa. "Vorher haben alle gedacht, wir hätten das beste Bildungssystem der Welt - seitdem müssen wir akzeptieren, dass das keineswegs so ist", sagt Wößmann. Vor allem: die Chancen hingen und hängen extrem vom Elternhaus ab. Die Pisa-Welle, die Wertschätzung für Daten, eine neue Sachlichkeit, das alles ebbte nicht ab, so machte er weiter mit der Bildungsökonomie - "und ich bin nie wieder davon wegkommen". Akademisch kam es 2001 zur Dissertation an der Uni Kiel, 2006 zur Habilitation an der TU München. Mit zwei prominenten Berichterstattern: Robert Klaus Freiherr von Weizsäcker und Hans-Werner Sinn.

Heute sieht Wößmann, wie relevant sein Gebiet in der Heimatdisziplin VWL geworden ist. Dafür sprechen Auszeichnungen, allen voran der Gossen-Preis des Vereins für Socialpolitik. Wößmann bleibt Volkswirtschaftler, obwohl er sich manchmal als Bildungswissenschaftler fühlt. Als empirischer, wohlgemerkt. Den Zusatz muss man erklären: Inzwischen belauern sich an den Universitäten die empirische Bildungswissenschaft, die Schulen sozusagen vermisst, und die traditionelle Erziehungswissenschaft, die ihre Basis in der Pädagogik und letztlich in der Philosophie hat. Von Ökonomisierung der Bildung ist in letzterem Fach oft die Rede, davon, dass Schule mehr sei, als das, was hinten raus kommt. Schulen würden zu "Fabriken für abfragbares Wissen". In Wößmanns Doktorarbeit taucht schon im Titel ein Pfui-Wort für viele Kritiker auf: Humankapital.

Neue Daten können alte Meinungen ändern - wenn alles gut geht

Angesprochen auf pauschale Schelte verzieht sich der sonst so freundliche Gesichtsausdruck Wößmanns kurzzeitig. Er sagt: "Natürlich wäre es ein Unding, wenn Bildung nur auf wirtschaftliche Zwecke ausgerichtet ist. Aber diese Fragen allesamt zu ignorieren, ist genauso unverantwortlich. Man macht sich schuldig, wenn man die Volkswirtschaft ausklammert, wenn man zuschaut, wie die Leute in Massen in die Arbeitslosigkeit laufen."

Politisch findet Wößmann durchaus ein Echo: "Bildungspolitik kann evidenzbasiert handeln." Konservativen werde klar, dass längeres gemeinsames Lernen nicht abträglich ist; und Linken werde klar, dass dennoch eine Ausrichtung nach Leistung, ein gewisses Maß Wettbewerb gerade den benachteiligten Schichten nützen können. Ein früherer Chef der Kultusministerkonferenz hat mal gesagt: Die meisten seiner Kollegen seien "mit der Pisa-Studie politisch großgeworden, haben keine Scheu vor datenbasierter Politik und wollen keine ideologischen Kriege mehr." Natürlich, neue Daten können alte Meinungen ändern. Gleichwohl diagnostiziert Wößmann auch: "Wenn die Daten einem in den Kram passen, freut man sich; wenn nicht, ignoriert man sie oder sagt: ,Das sind ja nur Daten, Bildung ist ja nicht nur das, was man messen kann.'" Das hält ihn freilich nicht davon ab, genau damit weiterzumachen.

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