Selbstversuch:Mein Leben ohne Amazon

Es geht auch ohne. Wer das System Amazon nicht unterstützen will, müsste streng genommen darauf verzichten. Unser Autor hat es ausprobiert.

Von Jan Hellmut Schwenkenbecher

Früher habe ich alles bei Amazon gekauft: Fußballschuhe, Hard- und Software für den Rechner, Geschenke aller Art, Bücher und Filme sowieso. Mein größter Einkauf war eine Spülmaschine für unsere erste WG. Die wurde nach der Lieferung sogar angeschlossen. Es war so einfach, alles über dieselbe Plattform zu erledigen. Na gut, Lebensmittel habe ich im Supermarkt besorgt, aber sogar die gibt es heute teilweise beim Onlinehändler.

Seit Weihnachten 2013 lebe ich jetzt aber ohne Amazon. Da nämlich fragte mich meine Freundin, warum ich denn bei Amazon kaufe, obwohl die Arbeitsbedingungen dort schlecht seien und ich dies mit meinem Kauf unterstützen würde. "Ja aber...", weiter wusste ich nicht.

Ich bin zwar niemand, der jede Einzelhandel-Buchfiliale vor den Big Playern des Kapitalismus retten muss. Aber meine Antwortoptionen schienen mir nicht sonderlich überzeugend:

  • "Die anderen Firmen machen das doch auch so." Eigentlich wusste ich das gar nicht wirklich. Ich wollte meine Argumentation nicht einfach darauf aufbauen, unwissentlich andere Unternehmen zu beschuldigen.
  • "Wenn nur ich dort nicht einkaufe, macht's das auch nicht besser." Auch doof, dann brauche ich auch nicht wählen gehen.
  • "Es gibt keine Alternativen." So ein Quatsch, es gibt doch mehr als ein Geschäft.

Außer "es ist bequem" fiel mir nichts ein. Aber das war mir zu plump. Auf einmal war ich mitten im Selbstversuch.

Das Ende der Bequemlichkeit

Mein Vorhaben schien mir beinahe unmöglich. Der Paketbote kam jede Woche, wir duzten uns. Ich dachte, ich müsse nun Stunden meines Feierabends opfern, um zu bekommen, was ich auf Amazon mit einem Klick bestellt hatte. Dass die Bequemlichkeit nun ein Ende habe, dass ich länger warten und mehr bezahlen müsse. Vielleicht bekäme ich sogar einige Produkte überhaupt nicht mehr. Eine deprimierende Vorstellung.

Aber wieso eigentlich? Amazon produziert ja bis auf den E-Reader Kindle und das Fire Phone so gut wie nichts selbst. Es gibt dort keine Produkte, die man nicht auch über einen anderen Händler bekäme. Der einzige Vorteil ist, dass alles auf einer Plattform vereint ist. Und das ist eben bequem.

Zurück in die 90er

Das erste, was ich über einen alternativen Weg erwarb, war ein Buch. Ich bestellte es einfach direkt beim Verlag. Das war einfach. Doch die nächsten Einkäufe würden bestimmt schwieriger werden.

Wurden sie aber nicht. Es dauerte vielleicht mal einen Tag länger. Und der Preis? Mal günstiger bei Amazon, mal billiger auf der eigenen Homepage des lokalen Snowboardladens oder einem Gebrauchte-Bücher-Portal, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte.

Jedenfalls bekam ich alles, was ich wollte auf einem anderen Weg. Neue Kopfhörer kaufte ich beim Elektrofachhandel, Kleidung bei anderen Onlineshops und für Bücher ging ich tatsächlich in die Buchhandlung. Ich rief vorher an und erkundigte mich, ob das Buch auch vorrätig war, damit ich nicht umsonst lief. Hätte ich nicht mit dem Smartphone die Nummer gegoogelt - mein Leben hätte sich angefühlt wie in den 90er-Jahren.

Rezensionen lese ich weiterhin

Allerdings muss ich gestehen, dass ich immer noch Rezensionen auf Amazon lese - so umfangreich gibt es sie einfach nur da - das Produkt dann aber woanders bestelle. Ist das Verrat an meinem Versuch? Vielleicht ein wenig. Wer mir nun aber mit "dann kann man's ja auch gleich ganz lassen" kommt, der vergisst, dass ein bisschen was zu tun in diesem Fall besser ist als gar nichts zu tun. Doch sollte meine Ein-Mann-Blockade zum Konkurs von Amazon führen - ich würde auch einen anderen Weg finden, Erfahrungsberichte einzuholen.

Ohne Amazon zu neuen Geschenkideen

Einen netten Nebeneffekt hatte das Ganze auch noch: Meine Ideen für Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke haben sich spürbar verbessert. Diverse Familienangehörige bestätigen das. Früher ging ich auf Amazon, klickte auf "Geschenke" und stöberte herum, bis ich etwas fand, worüber der Beschenkte sich nicht beschweren konnte. Mutti bekam so an Heiligabend das Seifenset "Bad & Body Vanille, 16 tlg." für 29,99 Euro, zwei Tage vorher per Express-Versand bestellt.

Jetzt aber machte ich mir Gedanken, bevor ich überhaupt ein Wort in die Suchmaske bei Google eingab. Zum letzten Weihnachtsfest bekam meine Mutter so eine Ziege. Nein, nicht für ihren Garten - die Organisation Oxfam bietet Ziegen, Schafe und sogar Mist an. Sie werden Familien in Afrika geschenkt, um zu landwirtschaften. Auf Amazon hätte ich das nie entdeckt.

Weltverbessern ist nur am Anfang doof

Ich muss jetzt zwar durch mein neues Kaufverhalten gelegentliche Fußmärsche in Kauf nehmen oder beim Online-Shopping zig verschiedenen Händlern Anschrift und Emailadresse nennen. Aber es geht. Welt verbessern ist eben meistens unbequem. Fahrrad statt Auto, kein Fleisch aus Massentierhaltung, nur fair produzierte Klamotten. Das scheint alles anstrengend.

Das ist aber nur am Anfang so. Wenn man sich noch nicht auskennt und lange recherchieren muss, welches T-Shirt wie hergestellt wurde und ob Fernbus oder Bahn nun umweltfreundlicher sind.

Wer aber einmal alle wichtigen Informationen gesammelt und alle Alternativen untersucht hat, kommt ganz gut zurecht. Und was mir am Anfang als unfassbar kompliziert erschien, ja fast schon als Einschränkung der Lebensqualität, ist für mich nun Alltag. Ein Leben ohne Amazon ist - wer hätte es gedacht - tatsächlich möglich.

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