Süddeutsche Zeitung

Selbstverpflichtung:Plastiktüten werden kostenpflichtig - jetzt wirklich

Warum hat das so lange gedauert? Wie viel werden die Tüten kosten? Und ist das überhaupt sinnvoll?

Von Vivien Timmler

Dass Plastiktüten die Meere kontaminieren und für das Sterben zahlreicher Fische und Vögel verantwortlich sind, ist ein gemeinhin bekannter Missstand. Dass die Menge der Plastiktüten im Umlauf reduziert werden muss, um diesem Missstand entgegenzuwirken, ebenso. Und dass es eine mögliche Stellschraube sein kann, die kostenlose Plastiktüte abzuschaffen und eine Abgabe einzuführen, zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern wie beispielsweise Irland.

Trotzdem ist es offenbar leichter gesagt als getan, sich auf eine solche Abgabe zu einigen. Seit Monaten schon steht ein Vorschlag im Raum, den Handel und Umweltministerium immer wieder leicht verändert haben - eine endgültige Entscheidung fiel nie. An diesem Dienstag will nun tatsächlich der Handelsverband Deutschland (HDE) seine Unterschrift unter diesen Vorschlag setzen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein Gesetz, sondern um eine sogenannte freiwillige Selbstverpflichtung.

Werden bald alle Plastiktüten kostenpflichtig?

Nein. Nur 60 Prozent der mehr als sechs Milliarden Kunststofftragetaschen, die pro Jahr in Deutschland herausgegeben werden, sollen künftig etwas kosten. Mehr als zwei Milliarden Plastiktüten werden also nach wie vor gratis an die Kunden herausgegeben - weil sich einige HDE-Mitglieder strikt weigern, die Selbstverpflichtung zu unterstützen. Vorerst 240 Unternehmen werden ab dem 1. Juni Geld für die Tragetaschen verlangen.

Warum sträuben sich einige Händler gegen die Abgabe?

Einige Textil- und Handelsunternehmen fürchten eine Wettbewerbsverzerrung und haben Angst, durch die Abgabe Kunden zu verlieren. Sie bevorzugen daher ein Gesetz. Werde eine solche Abgabe lediglich auf freiwilliger Basis eingeführt, würden die Käufer künftig jene Geschäfte bevorzugen, in denen die Tüten weiterhin nichts kosten, so ihre Argumentation.

Bereits jetzt haben jedoch schon mehrere große Handelsketten wie beispielsweise Tchibo, Karstadt oder Media-Saturn von sich aus angekündigt, Plastiktüten nicht mehr gratis anbieten zu wollen. Auch bei der Textilhandelskette C&A kostet die Plastiktüte seit dem 1. April 20 Cent. Das habe die Nachfrage bereits halbiert, so ein Unternehmenssprecher.

Wie viel werden die Tüten künftig kosten?

Diese Entscheidung möchte der HDE den einzelnen Händlern selbst überlassen. Ein Pauschalbetrag von beispielsweise 20 Cent, wie ihn Umweltschützer fordern, ist bislang nicht vorgesehen. Auch ob es einen Mindestpreis geben wird, ist bislang nicht bekannt.

Wie sinnvoll ist eine solche Abgabe?

Umweltschützer sind skeptisch, ob die freiwillige Selbstverpflichtung wirklich etwas bewegen wird. Sie fürchten, dass eine Abgabe von 15 Cent oder weniger die Käufer nicht ausreichend abschrecken könnte. Zudem zweifeln sie, dass die einzelnen Unternehmen von sich aus bereit sind, einen Preis in Höhe von 20 bis 30 Cent einzuführen.

Dabei wäre diese Größenordnung durchaus realistisch: Nachdem in Irland per Gesetz eine 22-Cent-Abgabe auf Plastiktüten erhoben wurde, hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch von 328 auf 16 Tüten verringert. Was eine flexible und zumal freiwillige Abgabe erreichen kann, weiß bislang niemand.

Was war überhaupt der Anlass für die Diskussion?

Die EU schreibt vor, den Einsatz von Plastiktüten bis Ende 2019 auf maximal 90 und bis Ende 2025 auf maximal 40 Stück pro Kopf und Jahr zu reduzieren. Derzeit soll dieser Wert in Deutschland bei etwa 70 Tüten liegen. Die Vorgabe für 2019 erfüllt Deutschland also bereits - allerdings ist der Verbrauch in der Vergangenheit nur sehr langsam gesunken. Daher gilt es als unrealistisch, das Ziel von 40 Stück ohne Vorgaben zu erreichen.

Die Diskussion dauert schon lange - warum?

Ursprünglich wollte sich der Verband mit der Regierung bis Weihnachten einigen, die Kostenpflicht auf freiwilliger Basis sollte im April 2016 eingeführt werden. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hatte jedoch darauf bestanden, 80 Prozent der Tüten kostenpflichtig zu machen, andernfalls werde sie ein Gesetz auf den Weg bringen.

Der Handelsverband fand jedoch nicht genug Verbände aus anderen Branchen, die sich an der Selbstverpflichtung beteiligen wollten. Auch viele HDE-Händler blockierten den Fortschritt. Und anstatt auf dem 1. April als Termin und den 80 Prozent als Mindestmenge zu bestehen, ging die Umweltministerin einen großen Schritt auf den Verband zu und fuhr ihre Vorgaben zurück.

Wie wird es nach der Selbstverpflichtung weitergehen?

Ministerin Hendricks hat angekündigt, in spätestens zwei Jahren den Prozentsatz der kostenpflichtigen Plastiktüten nun doch auf 80 Prozent anheben zu wollen. Erst einmal ist jedoch abzuwarten, ob die freiwillige Selbstverpflichtung überhaupt greift - oder nicht doch ein Gesetz notwendig ist.

Denn ob sich die Händler am Ende wirklich darauf einlassen werden, einen Preis für die Tüten zu verlangen, ist nicht gesagt. Denkbar wäre auch, dass die Unternehmen künftig Tüten aus Papier anstatt aus Plastik verteilen. Dafür müssten sie von den Kunden keine Abgabe verlangen. Besser für die Umwelt sind sie jedoch nicht.

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