Selbstmordserie bei France Télécom:Tödliche Worte

Unheilvolle Dynamik: Die ungeschickten Äußerungen des France-Télécom-Chefs Didier Lombard zeigen, wie schwer sich Firmen mit Selbstmorden tun.

Michael Kläsgen

Eine solche Situation erfordert viel Fingerspitzengefühl: 23 Mitarbeiter der France Télécom haben sich in den vergangenen Monaten umgebracht - und alle wissen es. Man sollte meinen, die Geschäftsführer des französischen Telefonkonzerns und die Gewerkschafter sähen sich nun dazu veranlasst, einen Moment innezuhalten und darüber nachzudenken. Schließlich gilt es, Schlimmeres zu verhindern.

Selbstmordserie bei France Télécom: Redet sich derzeit um Kopf und Kragen: France-Telecom-Chef Didier Lombard.

Redet sich derzeit um Kopf und Kragen: France-Telecom-Chef Didier Lombard.

(Foto: Foto: Reuters)

Immerhin halten Arbeitspsychologen einen Nachahmereffekt für eine der größten Gefahren und den Grund für Selbstmordserien. Bringt sich ein Kollege um, bricht er damit ein Tabu, was andere Mitarbeiter dazu verleitet, im Freitod ebenfalls die Befreiung von ihren Problemen zu suchen. Manager und Arbeitnehmervertreter müssen deshalb mit Bedacht handeln, wenn es dazu kommt.

Verhärtete Fronten

Doch bei France Télécom hat die Selbstmordserie die Fronten zwischen beiden Seiten eher noch verhärtet. Die Gewerkschaften instrumentalisierten die sich häufenden Fälle als politisches Druckmittel. Sie waren es, die vor einem Monat die Vielzahl der Selbstmorde publik gemacht hatten, was legitim ist. Doch weniger um die Opfer ging es ihnen, als vielmehr um die Forderung an die Direktion, sofort alle Restrukturierungen einzustellen.

Die Serie riss dadurch nicht ab. Vorige Woche rammte sich ein Mitarbeiter mittleren Alters während einer Sitzung, in der er über seine Versetzung unterrichtet wurde, ein Messer in den Bauch. Nur zwei Tage später sprang eine 32-Jährige aus ihrem Pariser Büro im fünften Stock.

Schon am Wochenende tauchte der verletzte Mann im Fernsehen auf und wirkte alles andere als psychisch labil. Er wollte auf diese Weise verhindern, erklärte er, versetzt zu werden und hatte offenbar Erfolg. Der vermeintliche Selbstmordversuch war Mittel zum Zweck in einem Arbeitskonflikt. Ein Einzelfall, der die tatsächlichen Opfer verspottet.

Zynische Relativierung

Der Vorfall zeigt, welch eine unheilvolle Dynamik die Selbstmordserie bekommen hat. Und dazu hat das Management maßgeblich beigetragen. Nach Bekanntwerden der vielen Fälle wandte sich zunächst der Personalchef an die Öffentlichkeit und teilte mit, in den Jahren 2000 und 2001 hätten sich 28 beziehungsweise 29 Mitarbeiter das Leben genommen.

Er relativierte damit die gegenwärtige Malaise im Unternehmen auf zynische Weise. Zudem gab er unfreiwillig zu erkennen, dass seither nichts oder zumindest nichts Wirkungsvolles getan wurde, um gegenzusteuern.

Auch Konzernchef Didier Lombard erwies sich als ungeschickt. Die Regierung hatte ihn dazu gedrängt, öffentlich Stellung zu nehmen, was angesichts der Nachahmer-Gefahr an sich fragwürdig ist. Denn die Publizität könnte weitere Mitarbeiter auf die Idee bringen, Hand an sich zu legen.

Lombard aber sagte überdies vor laufenden Kameras: "Es muss jetzt Schluss sein mit dieser Mode von Selbstmorden." So als sei es derzeit schick, sich umzubringen. Zudem beschuldigte er, freundlich verpackt, die verbliebenen Beamten im Konzern, nicht anpassungsfähig genug zu sein.

Tags darauf entschuldigte er sich, für das Wort "Mode". Er habe es vom englischen Wort "mood" (Laune) abgeleitet. Kurzum: Er redete sich um Kopf und Kragen und gab nicht zu erkennen, viel von der Dramatik dessen begriffen zu haben, was sich in dem von ihm geführten Konzern abspielt.

Staatlicher Aufseher

Natürlich gibt es inzwischen die in solchen Fällen übliche Seelsorge-Hotline. Und France Télécom bekommt sogar einen staatlichen Aufseher, der über den Gesundheitszustand der Mitarbeiter wacht. Dutzende externe Personalexperten sollen zudem Mitarbeiter in Not frühzeitig erkennen.

Um das Übel an der Wurzel zu packen, müsste sich der Konzern aber auf einen langwierigen, rein intern ausgetragenen Prozess einlassen, dessen Ziel es ist, die Ursachen der Misere zu identifizieren und sie zu beheben. Das setzt einen Dialog voraus, in dem die einen die Selbstmorde nicht instrumentalisieren und die andern sie nicht verharmlosen. Der Wille dazu ist derzeit nicht erkennbar, weder bei Gewerkschaften noch bei der Geschäftsführung.

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