Selbstfahrende Autos:Wo ist der Ausschaltknopf?

Conti-Chef Degenhart mahnt Beschränkungen bei künstlicher Intelligenz an. "Verkehr ist zu chaotisch, um alles vorherzusehen." Man müsse gut überlegen, wie weit man bei diesem Thema gehen solle.

Von Max Hägler, Frankfurt

Vor wenigen Jahren noch wären am Messestand von Continental wohl vor allem Autoreifen und Bremsanlagen herumgelegen: handfeste Mechanik. Doch der nach Bosch zweitgrößte Autozulieferer der Welt setzt immer stärker auf Software und Programmzeilen. 277 Patente für Roboterautos hat der Konzern aus Hannover in den Jahren 2010 bis 2016 angemeldet, und mittlerweile arbeitet die Hälfte aller Ingenieure, 30 000, im Digitalbereich. Eine Entwicklung, die dem Menschen Freiheiten schenken wird, aber auch Risiken birgt, warnt nun Conti-Chef Elmar Degenhart im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Wir müssen uns als Industrie beim Einsatz sogenannter künstlicher Intelligenz gut überlegen, wie weit wir gehen."

Heute würden in Autos und technischen Geräten konventionelle Algorithmen stecken, also Programmabläufe mit klaren logischen Strukturen, die Programmierer vorgäben. Doch die Anforderungen etwa an selbstfahrende Autos seien so hoch, dass es dem Menschen unmöglich sei, alle Szenarien im Vorhinein zu programmieren: Schneefall oder spielende Kinder - Verkehr ist zu chaotisch, um alles vorherzusehen. "Deshalb brauchen wir selbstlernende Systeme, die ihre Programmzeilen gewissermaßen selbst schreiben und damit unsere Basis-Algorithmen verfeinern", sagt Degenhart. Seine Mitarbeiter arbeiten unter anderem mit Forschern der Universität Oxford oder dem chinesischen Internetkonzern Baidu an solchen selbstlernenden Funktionen: Wie ein Kind sollen solche Systeme aus Erfolgen und Fehlern ihre Schlüsse ziehen und sich verbessern. So effektiv diese Methode ist, so herausfordernd ist sie auch, weil unüberschaubar wird, was in den Computern steckt: "Wir müssen lernen, welche Konsequenzen sich aus dem vom Computer selbst erzeugten Code ergeben", sagt Degenhart.

"Wenn diese Büchse der Pandora geöffnet ist, wird es sehr schwer werden, sie wieder zu schließen."

Die Sicherheit dieser Systeme zu gewährleisten, egal, ob es um technische Fehler oder Angriffe von außen durch Hacker geht, sei "eine weitere große Herausforderung" für alle Hersteller und Zulieferer: "Das ist recht neu für uns alle, weil wir uns Jahrzehnte nur mit Hardware und vorprogrammierter Software beschäftigten."

Neben Continental arbeiten auch die beiden anderen großen deutschen Autozulieferer ZF und Bosch an künstlicher Intelligenz. ZF aus Friedrichshafen hat jüngst etwa mit dem Grafikkarten-Hersteller Nvidia einen Chip vorgestellt, der die Umgebung des Autos interpretiert. Bosch wiederum erprobt seine Technik mit einem schwäbischen Autobauer: In selbstfahrenden Mercedes-Wagen steckt viel Bosch-Technik, die auch immer öfter selbstlernend ist. Eine Entwicklung, die den Fahrer in einigen Jahren entbehrlich machen soll.

Allerdings befürchtet Degenhart, selbst übrigens Ingenieur, dass derlei Computertechnik auch in anderen Bereichen zum Einsatz kommen könnte - und zwar nicht zum Nutzen der Menschheit: "Wir müssen überlegen, wo wir künstliche Intelligenz anwenden und wie weit wir gehen." Das gelte insbesondere bei Technologien, die Relevanz haben für die Zukunft der Menschheit, etwa Militärtechnik. Vor wenigen Wochen erst haben auch mehr als 100 Wissenschaftler und Unternehmer, darunter Tesla-Grüner Elon Musk, in einem Appell an die Vereinten Nationen vor "tödlichen autonomen Waffen" gewarnt, also Killerrobotern. Die Weltgemeinschaft hat ihrer Ansicht nach nicht mehr viel Zeit, um zu handeln und den Einsatz moderner Software zu beschränken: "Wenn diese Büchse der Pandora geöffnet ist, wird es sehr schwer werden, sie wieder zu schließen."

Für Degenhart keine Gedanken, die man schnell abtun sollte: "Menschen wie Elon Musk und Stephen Hawking haben die Fähigkeit, in großen Zusammenhängen und weit voraus zu denken." Wenn solche Leute vor etwas warnten, "dann sollten wir genau zuhören." An seine Techniker hat Degenhart als Richtlinie ausgegeben, dass der Mensch weiterhin bestimmen soll: "Bei aller Automatisierung: Im Auto sollte es immer einen Ausschaltknopf geben."

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