Selbstanzeige nach Steuerbetrug:Der Staat als Schweinchen Schlau

Alice Schwarzer

Alice Schwarzer zeigte sich selbst an.

(Foto: dpa)

Die Selbstanzeige wie im Fall Alice Schwarzer ist eine Art russisches Roulette: Mit der derzeitigen Regelung wollte der Staat Kritiker besänftigen und trotzdem nicht auf Einnahmen verzichten. Wer Steuern hinterzieht und sich offenbart, zahlt heute viel Geld - er weiß aber nicht, ob das honoriert wird.

Von Heribert Prantl

Ach, wie waren ehedem, Selbstanzeigen so bequem. Der Steuerhinterzieher konnte nicht viel falsch machen, die Regeln waren simpel: Er meldete dem Finanzamt, dass er Steuern hinterzogen hatte, dass also die Steuererklärung falsch war. Er zahlte die hinterzogene Steuer plus sechs Prozent Hinterziehungszinsen - und schon war er aus dem Schneider, schon hatte er wieder die reine Weste, in der er sich ohnehin immer gesehen hatte.

Nur der Steuerhinterzieher, kein anderer Straftäter sonst, hatte es so schön und einfach. Er konnte sich auf unauffällige Weise selbst amnestieren, solange seine Tat noch nicht entdeckt war. Es hat wohl ganz wesentlich mit dieser strafbefreienden Selbstanzeige zu tun, dass die Steuerkriminalität bis zum heutigen Tag verniedlicht wird: Kein Mensch bezeichnet einen Dieb oder einen Betrüger als "Eigentumssünder" oder einen Urkundenfälscher als "Urkundensünder"; würde man einen Vergewaltiger als "Sexualsünder" bezeichnen, wäre die Empörung groß. Nur Steuerstraftäter sind immer noch possierliche "Steuersünder".

Alle anderen Straftäter müssen von der Tat zurücktreten oder tätige Reue üben, bevor (!) die Tat vollendet ist; bei Steuerhinterziehung genügt(e) bloße Wiedergutmachung des längst eingetretenen Schadens. Es gibt keine andere klassische Straftat, die als Sünde verharmlost wird - nur die Steuerhinterziehung. Die Steuerstraftat war, bis vor Kurzem, eine abwaschbare Straftat.

Die strafbefreiende Selbstanzeige bedarf Genauigkeit und Glaube

Das ist vorbei, aber die meisten haben es noch nicht gemerkt. Sie glauben immer noch, sie seien nur Steuersünder, sie haben nicht oder zu spät gemerkt, dass die Zeiten sich geändert haben. Die Selbstanzeige ist per Gesetz so kompliziert gemacht geworden, dass man dafür fast noch mehr Glück braucht als Verstand. Gut, wenn man nur ein simples Konto in der Schweiz hat - wie das wohl bei Alice Schwarzer der Fall war -, genügt das kleine Glück; die Selbstanzeige kann da immer noch gut und schnell und lautlos funktionieren.

Wen man aber ein Daytrader ist wie Uli Hoeneß, wenn man also kurzfristigen spekulativen Handel mit Wertpapieren betreibt und sich selbst wegen Steuerhinterziehung bei diesen Geschäften strafbefreiend selbst anzeigen will, braucht man heute unverschämtes Glück - noch sehr viel mehr als bei den Spekulationsgeschäften selbst.

Die strafbefreiende Selbstanzeige bedarf heute der Genauigkeit eines Notars, der Gewandtheit eines Anwalts und der Glaubensstärke eines Pfarrers - allerdings nicht in die Güte Gottes, sondern in die Fairness des Finanzamts. Warum? Selbst ein Steuerhinterzieher, der den besten Willen zu umfassender Offenbarung all seiner bisherigen Falschangaben hätte, vergisst in der Regel irgendwo irgendwas. Daraus kann ihm das Finanzamt einen Strick drehen.

Sie hat dann die Selbstanzeige angenommen, viel Geld kassiert - aber der Selbstanzeiger kriegt trotzdem seine Strafe. Auch kleinere unbewusste Fehler führen heute zum Ausschluss der Straffreiheit. Die bisher von der Praxis tolerierte Fehlerquote, wonach Unrichtigkeiten von sechs bis zehn Prozent des Nachzahlungsbetrags die Selbstanzeige nicht unwirksam machen, hat keine gesetzliche Stütze mehr. Die Selbstanzeige ist zum Roulettespiel geworden - russisches Roulette wohlgemerkt.

Jede Selbstanzeige kann man kaputt machen - wenn man will

Warum? Das Recht der Selbstanzeige nach Paragraf 371 der Abgabenordnung wurde im Jahr 2011 grundlegend geändert. Auslöser dafür war unter anderem ein Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Mai 2010, mit dem das Gericht die Weichen für die Selbstanzeige neu stellte: Die Richter verlangten als Voraussetzung für die Strafbefreiung einen kompletten und umfassenden steuerlichen Offenbarungseid, auch für weit zurückliegende Zeiten. Die Anforderungen waren so, dass der Gesetzgeber gut daran getan hätte, das Institut der Selbstanzeige endlich ganz abzuschaffen - also den staatlichen Ablasshandel zu beenden, weil er Steuerstraftäter gegenüber allen anderen Straftätern privilegiert.

Der Gesetzgeber tat das nicht. Stattdessen schrieb er ein "Schwarzgeldbekämpfungsgesetz", das die Regeln der Selbstanzeige völlig neu formulierte. Die Selbstanzeige wurde nicht nur viel teurer als bisher, es wurde also nicht nur der Preis der Waschanlage erhöht. Es wurden die Bedingungen für die Selbstanzeige sehr kompliziert geregelt: Für alle unverjährten Steuerstraftaten müssen genaueste vollständige Angaben gemacht werden. Es wird keiner Betriebsprüfung schwerfallen, irgendwo ein Detail zu finden, das in der Selbstanzeige nicht angegeben wurde. "Wenn man will", sagt der Münchner Strafrechtsprofessor Klaus Volk, "kann man jede Selbstanzeige kaputt machen."

Vergleicht man die Angelegenheit mit einer Autowaschanlage, dann ist das heute etwa so: Der Waschwillige zahlt das Geld, fährt hinein - muss aber damit rechnen, dass er zerkratzt und zerbeult wieder herauskommt.

Der Staat war ein wenig korrupt

Bis 2010/2011 wurde die strafbefreiende Selbstanzeige allenthalben als goldene Brücke für betuchte Bürger beschrieben. Sie war eine Brücke, die es schon in den Strafgesetzen der deutschen Partikularstaaten im 19. Jahrhundert gegeben hatte, eine "Brücke zurück zur Steuerehrlichkeit", wie der Gesetzgeber immer wieder euphemistisch formulierte.

Dem Staat war das Geld des Hinterziehers lieb und teuer, lieber als eine Strafe. Der Staat stellte sein Interesse an Steuereinnahmen also über den staatlichen Strafanspruch. Der Staat dachte so ähnlich wie zu Luthers Zeiten der Mönch Tetzel, der Ablasshändler: Wenn das Geld im Kasten klingt . . . Für die Strafbefreiung gab es keinen anderen vernünftigen Grund als den: die "Erschließung bisher verheimlichter Steuerquellen". Böse formuliert: Der Staat war ein wenig korrupt; er ließ sich den Strafanspruch abkaufen.

Wie ein ehrbarer Kaufmann in einer unanständigen Angelegenheit

Der Kritik an dieser Privilegierung von Steuerstraftätern konnte sich der Gesetzgeber 2010/2011 nicht mehr entziehen. Aber er wollte auch auf die Geldeinnahmen aus dem Bundes-Ablasshandel nicht verzichten. Also verwandelte er sich in Schweinchen Schlau: Er veränderte die Regeln für die strafbefreiende Steuerhinterziehung so, dass die Kritiker der bisherigen Praxis fürs Erste zufrieden waren - und lockte aber zugleich die Steuerhinterzieher weiterhin, sich zu offenbaren.

Das Geschäft zwischen Steuerstraftäter und Staat hieß bis 2010/2011: Do ut des - ich gebe, damit du gibst. Also: "Ich gebe dir Geld, und du, Staat, erlässt mir dafür die Strafe". Das war unanständig. Das neue Recht ist allerdings noch unanständiger. Das Geschäft heißt nun: "Ich, der Staat, locke dich und nehme dein Geld - aber ob ich dir dann die Strafe wirklich erlasse, weiß ich noch nicht; das sehen wir dann."

Früher benahm sich der Staat wie ein ehrbarer Kaufmann in einer unanständigen Angelegenheit. Das kaufmännische Denken des Staats ist heute im Strafrecht nicht minder fehl am Platz wie früher. Aber der Staat benimmt sich jetzt in einer unanständigen Angelegenheit auch noch selbst unanständig: Er verkauft den staatlichen Strafanspruch - und sucht dann nach Gründen, nicht zu liefern.

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