Schweiz:Was gerecht ist

Die Schweizer sollen über eine Erbschaftsteuer von 20 Prozent abstimmen. Der Widerstand ist immens.

Von Charlotte Theile

Andrew Carnegie war Ende des 19. Jahrhunderts einer der reichsten Menschen der Welt. Er investierte statt in Gusseisen in Stahl, was sich als gute Entscheidung erwies. Söhne hatte er keine - doch selbst wenn, wären sie wohl leer ausgegangen. Denn Carnegie war überzeugt: "Eltern, die ihrem Sohn großen Reichtum hinterlassen, töten seine Talente und Energie, sie verführen ihn dazu, ein weniger nützliches und wertvolles Leben zu führen, als er es sonst tun würde."

In der Schweiz wird Carnegie in diesen Tagen wieder häufiger zitiert. Am 14. Juni stimmen die Schweizer über ein Gesetz ab, das für viele direkt ins Herz des Wirtschaftsstandorts zielt, Familien und Unternehmen angreift und ehrlichen Vermögensaufbau verhindert. Eine Erbschaftsteuer von 20 Prozent, bei einem Freibetrag von zwei Millionen Franken (etwa 1,9 Millionen Euro). Profitieren von den zusätzlichen Einnahmen würden vor allem die Sozialversicherungen, die ohnehin mit Finanzierungsproblemen kämpfen.

Superreiche wie Warren Buffett und Bill Gates machten einst kräftig Werbung für die Abgabe

Nur etwa zwei Prozent der Schweizer wären von dieser Steuer betroffen. Dennoch: Der Initiative werden kaum Chancen eingeräumt. Die Argumente auf beiden Seiten sind grundsätzlich: Ist es zulässig, Geld, das bereits versteuert wurde, erneut anzutasten? Andrerseits: Warum soll gerade Reichtum, der ohne Eigenleistung zustande kommt, für den Staat unantastbar sein? Bisher werden in der Schweiz Erbschaften an Ehegatten und Nachkommen nicht besteuert, wobei einzelne Kantone abweichende Regelungen haben. Auch die neue Initiative will Ehepartner von der Steuer ausnehmen. Es geht also vor allem um Kinder und Enkelkinder - und die Frage, ob eine Gesellschaft verlangen kann, dass sie von ihrem Startvorteil etwas abgeben.

Swiss Real Estate As Property Market Risks Continue To Grow

Ferienhäuser in Grimentz: Gut fünf Millionen Schweizer sind zur Abstimmung aufgerufen.

(Foto: Valentin Flauraud/Bloomberg)

Die Schweiz ist nicht das einzige Land, in dem diese Frage immer wieder diskutiert wird. Als George W. Bush 2001 die Erbschaftsteuer in den USA abschaffen wollte, schalteten Superreiche - Großinvestor Warren Buffett, die Familie von Microsoft-Gründer Bill Gates - ganzseitige Anzeigen gegen das Vorhaben. Nur weil man "der richtigen Gebärmutter entschlüpft" sei, habe man noch kein Anrecht auf lebenslange Sozialhilfe, erklärte Buffett. In Deutschland wird Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gerade für seinen Entwurf zur Neuregelung der Erbschaftsteuer kritisiert. Einige Unionskollegen werten diesen als Eingriff ins Privatvermögen, fürchten, große Familienunternehmen könnten ins Ausland abwandern. Dabei ist Schäuble nur tätig geworden, weil er musste: Das Bundesverfassungsgericht hatte Nachbesserungen verlangt. Auch in der Schweiz äußern liberale und konservative Politiker die Sorge, vermögende Personen könnten das Land verlassen, um der Erbschaftsteuer zu entfliehen. Auf diese Weise würden dem Land womöglich andere Gelder entgehen. Weit hätten es die Steuer-Flüchtlinge nicht - schon im Fürstentum Liechtenstein liegen die Erbschaftsteuern für nahe Verwandte deutlich unter 20 Prozent.

Ruedi Noser, Nationalrat der FDP, etwa glaubt, es sei eine Dummheit, eine einmalige Steuer einzuführen, die man durch geschickte Planung und Optimierung umgehen könnte. Auch das Hauptargument der Initiatoren - die sich öffnende Schere zwischen armen und reichen Schweizern - hält er nicht für überzeugend. Schließlich gebe es progressive Einkommen- und Vermögensteuern, sodass die Reichsten auch am meisten zur Steuerlast beitragen.

Daniel Meili sieht das anders. Gemeinsam mit seinen Brüdern Marcel und Martin setzt sich der Millionär für die Erbschaftsteuer ein, finanziert sogar den Wahlkampf, der ansonsten von Sozialdemokraten, Grünen, evangelischer Volkspartei und Gewerkschaften getragen wird. Das vielleicht beste Argument der Meili-Erben - der Vater der drei Männer hatte in den Vierzigerjahren ein Brandmeldesystem erfunden - ist ihr Liberalismus.

Einer der Grundsätze des Liberalismus ist das Leistungsprinzip: Wer viel leistet, soll davon auch profitieren. Nur eine Gesellschaft, die Anreize bietet, werde das Beste aus ihren Bürgern herausholen. Schon John Stuart Mill, einer der Vordenker des Liberalismus, warnte vor den negativen Effekten von Erbschaften. Leistungsgerechtigkeit bedeutete für ihn auch Chancengerechtigkeit. Die Zufälle der Geburt müssten ausgeglichen werden, fand Mill - und forderte eine Erbschaftsteuer.

435 000 Schweizer Haushalte

verfügten im Jahr 2013 über mehr als eine Million Dollar, Firmen oder Luxusgüter nicht eingerechnet, heißt es im Global Wealth Report der Boston Consulting Group. Die Millionärsquote liegt bei 12,7 Prozent der Haushalte.

Die Sozialdemokratin Jacqueline Badran ist eine der prominentesten Vertreterinnen der Schweizer Initiative. Eigentlich müsste sie leichtes Spiel haben - mehr als 90 Prozent der Bürger sind nicht betroffen, könnten aber von den höheren Staatseinnahmen profitieren. Doch Wissenschaftler halten dagegen: Selbst wer nicht davon ausgehen kann, dass er etwas erben wird, möchte sich den Traum eines plötzlichen Geldsegens nicht von Steuerfragen kaputt machen lassen.

In der Schweiz haben die Initiatoren noch ein weiteres Problem. In ihrem Versuch, die Ängste von Familienunternehmern zu besänftigen, haben sie "besondere Ermäßigungen" für Firmen und Landwirtschaftsbetriebe festgeschrieben. Wie diese aussehen sollen, ist allerdings unklar. War anfangs von einem Freibetrag von acht Millionen Franken die Rede, sprechen die Initiatoren inzwischen von 50 oder sogar 100 Millionen Franken. Ein Hin und Her, das auf viele unüberlegt wirkt. Aktuellen Umfragen zufolge plant nur etwa ein Drittel der Schweizer, für die Steuer zu stimmen.

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