Schweiz:Roulette in Bern

Schweiz: Spieler an richtigen Spieltischen lassen sich kontrollieren. Was jedoch im Internet passiert, bleibt weitgehend im Dunklen.

Spieler an richtigen Spieltischen lassen sich kontrollieren. Was jedoch im Internet passiert, bleibt weitgehend im Dunklen.

(Foto: Gaetan Bally/Keystone/mauritius images)

Online-Casinos stellen die Regierung vor eine Herausforderung. Sie will diesen Markt nun regulieren und dabei sogar zu Netzsperren greifen. Dagegen regt sich Widerstand, nicht nur bei den Betreibern.

Von Charlotte Theile, Zürich

In der Schweiz gibt es seit einigen Wochen ein neues Wort: Beton-Casino. Es beschreibt das, was noch vor einigen Jahren gleichbedeutend mit Glücksspiel war: Roulette-Tische, Automaten mit niemals enden wollendem Hunger nach Münzen, Poker-Turniere. Wer heute Glücksspiel betreibt, braucht dafür keine Scheine oder Münzen mehr. Online lassen sich in einer Nacht Hunderttausende Euro gewinnen - oder verlieren. Was vor wenigen Jahren nur eine Nische war, ist heute ein Milliardengeschäft.

Das Spiel im Netz stellt den Staat vor neue Herausforderungen: Während Beton-Casinos lizenziert und überprüft werden, hohe Beiträge zum Haushaltsbudget leisten müssen und Spielsüchtige abweisen können, ist der Markt im Netz kaum zu regulieren. Wer von einem Anbieter auf Gibraltar Steuern eintreiben möchte oder einen effektiven Spielerschutz sicherstellen will, sieht sich vor unlösbare Probleme gestellt. Zumindest auf den ersten Blick. In der Schweiz wird am 10. Juni über ein Gesetz abgestimmt, das diese Unstimmigkeiten beseitigen will.

In einem Geldspielgesetz will Bern eine Grundlage schaffen, auf der Online-Spiele, die in der Schweiz zur Zeit illegal sind, erlaubt und reguliert werden können. Wer im Netz Blackjack, Poker oder Roulette anbieten will, muss ein Casino in der Schweiz betreiben, hohe Abgaben an die Sozialversicherungswerke des Landes zahlen und sich dem Spielerschutz verpflichten. Alle anderen Angebote würden künftig mit einem Instrument verfolgt, das man bisher vor allem aus Diktaturen kennt: Netzsperren. Wer keine Konzession für den Schweizer Online-Spielemarkt erhalten hat, wird in dem Land abgeschaltet. Auch für Lotto-Spieler in der Schweiz ändert sich etwas: Gewinne bis zu einer Million sollen künftig steuerfrei sein, einige Formen von Sportwetten werden künftig von den Lotteriegesellschaften durchgeführt. Außerdem sollen kleine Pokerturniere außerhalb von Spielbanken eine Genehmigung erhalten.

Eine Gruppe junger Politiker hat nun eine Abstimmung über das Gesetz erzwungen. Für das Komitee, das von den jungen Grünen bis zu den jungen Rechten reicht, sind Netzsperren der Anfang vom Ende des freien Internets. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes solle das Internet zensiert werden, ein Dammbruch, wie die Gegner des Gesetzes befürchten. Schon bald könnten auch andere Branchen-Netzsperren eingerichtet werden - schließlich sind die Beton-Casinos nicht die einzigen, die einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes an illegale Konkurrenz aus dem Netz verlieren.

Am 10. Juni stimmen die Bürger über ein neues Geldspielgesetz ab

Tatsächlich hat die Schweizer Glücksspielbranche mit diesem Gesetz einen sehr guten Deal gemacht. Da nur bestehende, heimische Casinos Konzessionen erwerben dürfen, werden unliebsame Konkurrenten bis auf Weiteres ausgeschlossen. Auf Youtube gibt es einen viel beachteten Ausschnitt aus der Gesetzesdebatte von 2016. Die zuständige Ministerin Simonetta Sommaruga beantwortet in dem kurzen Clip die Frage, warum sich nur die bestehenden Glücksspielhäuser zum Online-Spiel bewerben dürfen, mit einem ziemlich lapidaren Satz: "Die Casinos haben sich hier durchgesetzt."

Dass man die Branche "ihre eigenen Gesetze schreiben lässt", wie das nun auf zahlreichen Abstimmungsplakaten behauptet wird, weist der Bundesrat weit von sich. Unbestritten ist: Es geht für beide Seiten um viel Geld. Auch das Komitee gegen das Gesetz wird von der Glücksspielbranche unterstützt - nur eben von jener aus dem Ausland.

Eine halbe Million hat die Kampagne bekommen - ohne dieses Geld hätte sie schwerlich so viel Aufmerksamkeit für das Thema generieren können. Für grenzüberschreitende Portale wie Bwin steht am Abstimmungssonntag einiges auf dem Spiel. Wenn die Schweiz eine Netzsperre beschließt, könnte das Beispiel auch anderswo Schule machen.

Ohnehin sind viele europäische Länder gerade damit beschäftigt, Online-Spiele zu legalisieren, um so sicherzustellen, dass die Einnahmen, die das Glücksspiel bisher generiert hat, auch weiterhin sprudeln. Die Gegner des Gesetzes finden: Alle Anbieter von Online-Glückspielen sollten die Möglichkeit haben, Schweizer Konzessionen zu erwerben und entsprechend Steuern zu zahlen. Dadurch kämen noch deutlich mehr Einnahmen für gemeinnützige Zwecke und die Sozialversicherungen zusammen, als das bisher der Fall gewesen sei. Doch auch bei diesem Modell bleibt die Frage: Was ist mit jenen Anbietern, die sich den schweizerischen Regeln verweigern? Und wie kontrollieren Behörden die Zahlungsströme ins Ausland? Das Komitee schlägt dazu Werbeverbote und eine Überwachung des Zahlungsverkehrs vor und als letztes Mittel vielleicht doch Netzsperren. So äußerte sich zumindest ein Teil der Aktivisten. Denn wie man ein Gesetz durchsetzt, ohne je zum schärfsten Schwert zu greifen, dafür fehlen auch ihnen überzeugende Argumente.

Bei der Schweizer Bevölkerung hat das neue Glücksspielgesetz gute Karten: Umfragen zufolge unterstützen etwa 55 Prozent der Befragten den Vorstoß. Das Argument, das dabei am meisten überzeugen dürfte, ist der Status quo: Das Spiel im Netz boomt - und zieht jeden Tag Kunden aus dem analogen, regulierten Markt, der der Allgemeinheit zugute kommt. Wenn das neue Gesetz am 10. Juni scheitert, wird neu verhandelt. Die Netzsperren würden dabei wohl ebenso hinterfragt wie die Privilegien der einheimischen Kasinos bei der Konzessionsvergabe. Doch bis ein neues Gesetz ausgearbeitet ist, vergehen Jahre. Zeit genug, viele Millionen Franken zu gewinnen, zu verlieren oder Pleite zu gehen.

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