Schwarze Null:Regierung muss das Schuldenmachen lernen

Bundestag

Finanzminister Olaf Scholz beharrt auf der schwarzen Null. Nun kämpfen Gewerkschafter und Industrie gemeinsam gegen diesen Fetisch der großen Koalition.

(Foto: dpa)

In Zeiten des Umbruchs ist das Beharren auf der schwarzen Null verheerend. Es ist kein Ausweis guter Haushaltspolitik, sondern ein Signal der Schwäche.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Behalten oder aufgeben? Gerade erst hat die große Koalition den ausgeglichenen Bundeshaushalt für 2020 und die Finanzplanung bis 2023 verabschiedet, da bricht der Streit um die Schwarze Null aus. Der Grund: Die designierten Vorsitzenden der SPD, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, wollen auf dem SPD-Parteitag am Wochenende dazu "eine klare Entscheidung" herbeiführen; sie wollen den ausgeglichenen Haushalt zugunsten weiterer Investitionen aufgeben. Nicht alle in der SPD teilen diese Ansicht. Vor allem aber wollen CDU und CSU an einem ihrer wichtigsten Wahlkampfversprechen, dem ausgeglichenen Haushalt ohne zusätzliche Schulden, festhalten. Während die Regierungsparteien noch miteinander ringen, haben sich viele Wissenschaftler, Gewerkschafter und Unternehmer längst ihre Meinung gebildet.

Es sind so ungewöhnliche wie machtvolle Allianzen, die sich dieser Tage nur mit einer einzigen Zahl beschäftigen - der schwarzen Null. Gewerkschafter und Industrie machen sich so große Sorgen um die Zukunft der Bundesrepublik, dass sie Seit' an Seit' gegen den Fetisch der großen Koalition ankämpfen. Und, auch das ist bemerkenswert: Sie werden unterstützt von konservativen wie linksliberalen Wirtschaftswissenschaftlern. Die Stimmen, die eine langfristig angelegte Investitionsstrategie und damit die Abkehr von der schwarzen Null fordern, sind unüberhörbar geworden.

Es ist etwas in Bewegung gekommen in Deutschland. Nicht nur politisch, auch ökonomisch. Der gesellschaftliche Wandel, der sich zuerst in den politischen Parteien widergespiegelt hat, ist in der Wirtschaftspolitik angekommen. Er gipfelt in der berechtigten Forderung an die Bundesregierung, endlich umzusteuern. Bitte keine weiteren kleinen Kompromisse! Dafür her mit einem langfristig ausgelegten Investitionsplan! Auf 457 Milliarden Euro beziffern Ökonomen den zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf in Deutschland in den nächsten zehn Jahren. Betroffen sind alle Schlüsselbranchen: kommunale und überregionale Infrastruktur, Bildung, der Umstieg in eine kohlenstofffreie Wirtschaft und der Wohnungsbau. Die Aufgabe ist gewaltig.

Alles spricht dafür, dass Gewerkschaften, Industrie und Ökonomen richtigliegen. Weil sich anderswo in der Welt, zuvorderst in Amerika, aber auch in Großbritannien oder Osteuropa, der politische wie wirtschaftliche Fokus stärker auf das Nationale richtet, ist logischerweise auch der Exportweltmeister Deutschland in Schwierigkeiten gekommen. Die einst freien Märkte gehören fürs Erste der Vergangenheit an. Und wenig deutet darauf hin, dass sich das so schnell ändert. Wer glaubt, dass so ein Wandel spurlos an der größten europäischen Volkswirtschaft vorübergehen kann, der irrt.

Die selbst herbeigeführte Krise wird dadurch verstärkt, dass traditionelle Branchen wie das Bankwesen, der Maschinen- und Automobilbau oder der Einzelhandel geradezu überrollt werden von digitalem und ökologischem Wandel. Die Produkte von morgen, die Arbeitsplätze von morgen, die Konsum- und Lebensgewohnheiten von morgen sind völlig unbekannt. Weder die Ökonomen noch eine Bundesregierung, unabhängig davon, welche Parteien ihr angehören, können in die Glaskugel schauen. Aber abwarten ist keine Option.

Wer jetzt investiert, bekommt die beste Rendite, die man sich vorstellen kann

Die sichtbaren globalen Entwicklungen konsequent zu Ende zu denken heißt, dass sich die Bundesrepublik jetzt dringend darum kümmern muss, daheim die Strukturen so weit zu verbessern, dass sie den Umbruch endlich auch gestalten kann. Man muss sich schon sorgen, wie sehr gewinnorientierte US-Internet-Giganten den Alltag hierzulande beeinflussen, gar kontrollieren. So gut wie alle Daten, die Bundesbürger aktiv oder passiv liefern, landen jenseits des Atlantiks, sie werden dort verarbeitet und über verschiedenste Dienstleistungen an die Bundesbürger zurückgeliefert - die dann oft noch dafür zahlen. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung und die Europäische Kommission daheim wie europaweit darauf drängen, dass der alte Kontinent das eigene Schicksal ein Stück weit selbst in die Hand nimmt.

Dafür ist es unerlässlich, so viel Geld wie nötig in die Hand zu nehmen. Im Idealfall sähe die Strategie jetzt so aus: Deutschland baut Infrastruktur und Bildung daheim nach modernsten Standards aus. Und nutzt die anstehende Ratspräsidentschaft, um bislang undenkbare Projekte durchzusetzen: eine europäische Suchmaschine. Eine europäische Cloud. Grenzenloses Internet. Das Geld dafür gibt es am Markt zum Nulltarif. Für die Schulden, die die Bundesrepublik jetzt macht, um für die Zukunft vorzusorgen, muss Berlin nicht nur keine Zinsen zahlen. Sondern bekommt auch noch die beste Rendite, die man sich vorstellen kann: ein für den Wandel ertüchtigtes Land, das Europa zu neuer Stärke verhilft.

Und genau wegen dieser Aufgaben haben all jene recht, die jetzt fordern, die schwarze Null nicht um ihrer selbst willen aufrechtzuerhalten. Keine zusätzlichen Schulden zu machen ist kein Ausweis guter Haushaltspolitik, sondern in Zeiten des Umbruchs ein Signal der Schwäche und der Mutlosigkeit. Beides können sich weder Berlin noch Brüssel leisten.

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