Schwarz-Gelb nach der Wahl:Heulen und Zähneklappern

Die neue schwarz-gelbe Regierung erbt hohe Staatsschulden und steht vor harten Entscheidungen. Sie muss sparen, darf die Konjunktur aber nicht noch weiter abwürgen.

Ulrich Schäfer

Ach, was war das doch für ein wunderbarer Wahlkampf. So lieb, so nett, so kuschelig. Die einen haben behauptet, sie hätten die Kraft (CDU und CSU), die anderen haben erklärt, das Land könne es besser (SPD und FDP), doch alle miteinander blieben die Antwort schuldig, wie sie Deutschland kraftvoll aus der größten Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten herausführen wollen.

Man erging sich in Allgemeinplätzen, man warb mit Wohltaten (und dies trotz einer Haushaltslücke von 100 Milliarden Euro), aber die Wahlkämpfer verschwiegen den Bürgern schlicht, was auf sie zukommt. Nur einmal, am Sonntag vor einer Woche, lupften Peer Steinbrück und Karl-Theodor zu Guttenberg kurz den Schleier und erklärten in einer Talkrunde, dass die Deutschen sich auf harte Einschnitte vorbereiten müssen. Aber was, bitte schön, kommt da auf uns zu? Diese Antwort erhielten die Bürger nicht.

Sie werden sie nun in den nächsten Wochen bekommen, wenn Union und FDP über die Bildung einer neuen Regierung verhandeln, über den Koalitionsvertrag, der eine gute Richtschnur für das ist, was Schwarz-Gelb vorhat.

Immer neue Grausamkeiten

Dies war schon 2005 so, als mit jeder Woche, die sich die Koalitionsverhandlungen hinzogen, neue Grausamkeiten publik wurden. Die Lücke, die Union und SPD damals im Etat entdeckten, vergrößerte sich von 20 auf 30 und von 30 auf 50 Milliarden Euro.

Es werde "Heulen und Zähneklappern" geben, verkündete Unions-Unterhändler Roland Koch vor vier Jahren. Und Heulen und Zähneklappern dürfte es auch unter Schwarz-Gelb geben.

Vor vier Jahren verzichtete die große Koalition gleichwohl darauf, schon im ersten Jahr den Etat ins Lot zu bringen. Stattdessen erhöhten Union und SPD die Mehrwertsteuer und die Versicherungssteuer erst 2007.

Angela Merkel vermied dadurch den Fehler, den Gerhard Schröder begangen hatte: im Abschwung noch zusätzlich zu sparen - und dadurch den Niedergang zu verstärken. Stattdessen ließ die große Koalition die Schulden (und damit die Konjunktur) erst mal laufen. Auch deshalb erlebte Deutschland in den kommenden drei Jahren einen kraftvollen Aufschwung - und der Finanzminister ein Einnahmewunder.

Zeit lassen mit Einschnitten

Die neue Regierung wäre ebenfalls gut beraten, sich mit harten Einschnitten Zeit zu lassen. Denn die Welt steckt immer noch in der Rezession, Deutschlands Wirtschaft wird in diesem Jahr um fünf, sechs Prozent schrumpfen und im nächsten Jahr, wenn überhaupt, nur um gut ein Prozent wachsen.

Die Zahl der Arbeitslosen wird steigen, und sie würde noch kräftiger steigen, wenn die Union auf Drängen der FDP in dieser heiklen Phase einen harten Sparkurs beginnt.

Stattdessen muss die Regierung die Wirtschaft im nächsten Jahr noch einmal ankurbeln. Sie sollte die Unternehmen durch Steuervorteile ermuntern, mehr zu investieren. Es wäre zudem sinnvoll, die Einkommensteuer für Gering- und Mittelverdiener zu senken - aber nur temporär, nicht auf Dauer.

Auch über zusätzliche staatliche Investitionen sollten die Regierungsparteien zügig befinden - ganz im Sinne einer antizyklischen Konjunkturpolitik, wie sie John Maynard Keynes bereits nach ersten Weltwirtschaftskrise empfohlen hat.

Die Last der Zinsen

Allerdings hielt auch Keynes nichts davon, dass Staaten sich auf Dauer massiv verschulden. Daher sollte die neue Regierung 2011 oder 2012 der Politik auf Pump entfliehen. Dann sollte die deutsche Wirtschaft wieder stark genug sein und neue Jobs produzieren.

Eine übermäßige Staatsverschuldung könnte andernfalls in der nächsten Krise münden: in einer Welle von Staatsbankrotten. Deutschland ist davon, anders als manche Staaten in der Europäischen Union, weit entfernt. Doch der nächste Finanzminister wird darunter leiden, dass die Last der Zinsen drastisch steigt. Und er wird sich deshalb eine Steuerreform im Stile der FDP nicht leisten können.

Vielmehr wird die neue Regierung, allen Wahlkampfversprechen zum Trotz, nicht umhinkommen, in ein oder zwei Jahren die Steuern zu erhöhen - möglicherweise auch den Spitzensatz bei der Einkommensteuer, so wie in den USA, Großbritannien und Japan.

Denn viele Topverdiener haben vom Boom vor dem Crash mehr profitiert als die meisten anderen; deshalb sollten sie einen entsprechenden Beitrag leisten, wenn es darum geht, für die Kosten zu bezahlen. Aus diesem Grund dürfte auch die Idee einer Finanzmarktsteuer zum Thema werden.

Keynes allein reicht nicht

Selbst Merkel hat sich im Wahlkampf dafür ausgesprochen, die Finanzbranche auf diese Weise an den Krisenkosten zu beteiligen. Solche Steuererhöhungen werden Widerstand provozieren, in der FDP, aber auch in der Wirtschaft, doch sie wären ebenfalls Teil einer antizyklischen Konjunkturpolitik à la Keynes.

Allerdings: Keynes allein bringt keine Rettung. Die neue Regierung muss zudem durch Reformen dafür sorgen, dass die deutsche Wirtschaft auf Dauer stärker wachsen kann. Deshalb wird sie das Arbeitsrecht und die Sozialversicherungen modernisieren müssen, ohne beides radikal zu schleifen, und in Bildung und Forschung investieren.

Es bleibt zu hoffen, dass die Mitglieder der neuen Regierung sich wirklich an eine derart langfristige Wirtschaftspolitik herantrauen, wenn sie in Kürze mit ihren Gesprächen beginnen. Und dass es ihnen nicht bloß darum geht, widerstrebende Wahlprogramme durch faule Kompromisse in Einklang zu bringen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: