Schwaches Wirtschaftswachstum:Merkels Schuld am Abschwung

"Rentengeschenke" und Mindestlohn: Ökonomen machen die große Koalition für den drohenden Wirtschaftsabschwung mitverantwortlich. Selbst das Prestigeprojekt der Regierung stellen sie in Frage.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute geben der großen Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Mitschuld am Abschwung in Deutschland. "Die Aussichten für die Konjunktur sind auch deshalb gedämpft, weil Gegenwind von der Wirtschaftspolitik kommt", heißt es in ihrem Herbstgutachten.

Darin kritisieren die Ökonomen "Rentengeschenke" und den Mindestlohn und fordern, mehr zu investieren. Auch wegen der Krisen in der Ukraine und in Nahost erwarten die Forscher, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland 2014 nur noch um 1,3 und 2015 nur um 1,2 Prozent wächst.

Die vom nächsten Jahr an geltende gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro werde "im Niedriglohnbereich zu Lohnsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich" führen, heißt es in dem Gutachten. 200 000 Geringverdiener könnten 2015 ihre Stelle verlieren. Dies gelte besonders für Minijobs. Scharf kritisierten die Forscher auch das Rentenpaket der Bundesregierung, zu dem die Anhebung von Mütterrenten und die abschlagsfreie Rente ab 63 für langjährig Versicherte gehören. Die volle Rentenkasse sei genutzt worden, um die Ausgaben auf Kosten heutiger und künftiger Beitragszahler zu steigern. Dadurch würden die Rentenerhöhung 2015 geringer ausfallen und die Beitragssätze langfristig schneller steigen.

"Es ist die Summe der Maßnahmen, die die Investitionstätigkeit in Deutschland dämpft", sagte Oliver Holtemöller, Konjunkturexperte des Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. Das IWH, das Berliner DIW, das Essener RWI und das Münchner Ifo-Institut hatten in ihrer Frühjahrsprognose noch mit einem deutlichen Aufschwung gerechnet und Wachstumsraten von etwa zwei Prozent prognostiziert.

Nicht zufrieden sind die Ökonomen auch mit der Finanzpolitik der Regierung. Das Ziel, erstmals seit viereinhalb Jahrzehnten keine neuen Schulden zu machen, rügen sie als "Prestigeobjekt". DIW-Konjunkturexperte Ferdinand Fichtner sagte: "Ich halte die schwarze Null aus ökonomischer Sicht derzeit nicht für angebracht."

Die Forscher fordern die Bundesregierung auf, ihren finanziellen Spielraum zu nutzen, um etwa die Bildungsausgaben für die frühkindliche Erziehung zu erhöhen und noch mehr in den Erhalt von Straßen, Schienen oder Brücken zu investieren. Außerdem halten sie die Gelegenheit für günstig, die Arbeitnehmer über den Abbau der kalten Progression steuerlich zu entlasten.

Merkel kündigte an, weitere Investitionen zu "prüfen." Dazu gehörten Ausgaben im digitalen und im Energiebereich. "Diesen Kurs werden wir sehr entschieden weitergehen", versicherte sie. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble versprach mehr Investitionen. Diesen müsse man "eine höhere Priorität einräumen", sagte er am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sind allerdings keinerlei Änderungen am Haushaltsentwurf für 2015 geplant. Da das Ziel eines ausgeglichenen Etats unbedingt eingehalten werden soll, werden im Gegenteil sogar Einsparungen an einigen Stellen nötig sein.

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