Süddeutsche Zeitung

Schwache Kontrolleure:Ein eingeschworener Kreis

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Auch der Aufsichtsrat von Wirecard hat dem Treiben des Vorstands lange zugesehen. Das Kontrollgremium bestand lange Zeit nur aus drei Herren, die dem Vorstand offenbar nicht viele Fragen stellten.

Von Meike Schreiber

Die Hinweise waren detailliert, substanziell und kamen Schlag auf Schlag: Jeweils am 23. August, am 9. September, am 18. und am 23. Oktober 2019 wurden von der anonymen Webseite mca-mathematik.com Briefe an sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats von Wirecard verschickt. Die Autoren erhoben in ihren später auch veröffentlichten Briefen detaillierte Vorwürfe zu genau den Punkten, die nun Anlass für Betrugsverdacht geben. Wer mca genau war, darauf gab es auf der Webseite zwar keine Hinweise, nur jenen, dass es sich um Vertreter von Hedgefonds handelte, die auf fallende Kurse der Wirecard-Aktie setzten. Aber waren die Vorwürfe dadurch zwangsläufig unglaubwürdig? Im Nachhinein zeigt sich: Sie waren sehr wohl relevant. Im Bericht der Prüfungsgesellschaft KPMG, die ab Oktober 2019 im Auftrag des Aufsichtsrats die Vorwürfe untersuchen sollte, wurden die anonymen Hinweise jedenfalls aufgeführt, auch wenn Braun sie intern als irrelevante Angriffe von Spekulanten abgetan haben soll.

Die Briefe werfen damit auch ein Schlaglicht auf die Verantwortung des Aufsichtsrats von Wirecard - also jenes Gremiums, das in einer Aktiengesellschaft den Vorstand kontrollieren soll. Neben Wirtschaftsprüfern, Aufsehern und Analysten müssen sich jetzt allen voran die früher und heute amtierenden Aufsichtsräte fragen lassen, ob sie nicht früher und hartnäckiger hätten eingreifen müssen.

Die Wirecard-Spitze wirkte lange Zeit eher wie eine verschworene Gemeinschaft, was auch daran lag, dass Wirecard-Chef Markus Braun selbst größter Anteilseigner war. Auch der Aufsichtsrat war offenbar gefügig: Bis vor wenigen Jahren bestand das Gremium aus drei Herren, angeführt ab 2008 von den beiden Unternehmensberatern Wulf Matthias und Alfons Henseler. Drittes Mitglied war Stefan Klestil, Partner bei einer Investmentfirma und Sohn des früheren österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil. Zwar wurde das Gremium 2016 und 2019 um jeweils zwei Aufsichtsrätinnen erweitert. Fachliche Schwergewichte aber fehlten. Zwei der Damen legten ihre Mandate sogar nach kurzer Zeit wieder ab. Die eine angeblich aus persönlichen Gründen, die andere führte einen anderen herausfordernden Job an. Indes erfüllte das Gremium noch nicht einmal die formalen Anforderungen an gute Unternehmensführung. Im Verhältnis zur Unternehmensgröße (und spätestens seit Aufnahme in den Dax 2018) umfasste der Aufsichtsrat viel zu wenige Mitglieder. Auch wurden erst spät die notwendigen Fachausschüsse gebildet.

Als "Aufräumer" und "unbequemer Aufseher" verkaufte sich schließlich Thomas Eichelmann, der im Juni 2019 in das Kontrollgremium einzog, das er seit Anfang 2020 anführt. Von 2007 bis 2009 war er Finanzvorstand der Deutschen Börse, verließ das Unternehmen jedoch, nachdem unter anderem private Aktiengeschäfte für Unruhe gesorgt hatten. Im Anschluss war Eichelmann als Geschäftsführer bei verschiedenen Mittelständlern tätig gewesen. Der Job in Aschheim war für ihn die Rückkehr in die erste Börsenliga.

Hätte auch Eichelmann früher reagieren müssen, seine Kollegen sowieso? Und zwar nicht erst, als Investoren im Oktober 2019 so viel Druck machten, dass man KPMG mit einer Sonderprüfung beauftragte? Zwar gab es nach SZ-Informationen auch den Versuch, mit Hilfe der Beratung von PwC und McKinsey die Compliance-Strukturen zu verbessern. Es ist aber unklar, wie viel davon umgesetzt wurde. Fraglich ist auch, ob der Aufsichtsrat rechtzeitig und korrekt über die Ergebnisse von KPMG informiert hat. Einen Fragenkatalog der SZ dazu ließen die Mitglieder des Gremiums am Freitag mit Verweis auf die Vertraulichkeitspflicht unbeantwortet. Darunter etwa die Frage, welche Maßnahmen der Aufsichtsrat ergriff, um vom Vorstand Antworten auf die Fragen von mca-mathematik zu bekommen oder was das Gremium nach den Artikeln der Financial Times Ende Januar und Anfang Februar 2019 unternommen hat. Zu sagen haben die Räte nun nicht mehr viel, abgesehen von Formalien. Mit dem Insolvenzantrag fiel auch ihre Vergütung weg.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020
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