Einschränkungen bei der Ausfuhr von Medizingütern und persönlicher Schutzausrüstung bereiten der deutschen Industrie zunehmend Sorgen. "Kein Land produziert alle notwendigen Produkte zur medizinischen Versorgung oder die dafür benötigten Vorprodukte", heißt es in einem Positionspapier des Industrieverbands BDI, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. "Wenn jedes Land seine Waren zurückhält, hat im Ergebnis kein Land alle für die Pandemiebewältigung benötigten (Medizin-)Produkte." So gefährdeten die Beschränkungen beim Export von Schutzanzügen, Atemmasken oder Handschuhen auch die Fertigung in sogenannten Reinräumen - klinisch sauberen Umgebungen, wie es sie auch in der Arzneimittel-Herstellung gibt. Ohne Schutz keine Produktion.
Bei der Welthandelsorganisation WTO haben derzeit 25 Länder solche Ausfuhreinschränkungen angemeldet. Die tatsächliche Zahl dürfte aber "deutlich höher ausfallen", heißt es in dem Papier: Nicht alle Staaten haben ihre Restriktionen angemeldet. Schätzungen gehen von mehr als 50 Staaten mit Beschränkungen aus. Auch die EU hatte den Export von persönlicher Schutzausrüstung faktisch verboten, lockert das aber. Von Ende April an gelten die Auflagen nur noch für Atemmasken. In den USA erstreckt sich die Einschränkung auch auf Beatmungsgeräte, Indien hat die Ausfuhr von Grundstoffen für Medikamente eingeschränkt - auch solcher, die für die Herstellung von Schmerzmitteln oder Antibiotika nötig sind. Die EU ist auf Importe, auch von Schutzausrüstung, angewiesen.
"Die Handelsentscheidungen der Staaten beeinflussen signifikant beides"
Erst am Montag hatten auch WTO und die Weltgesundheitsorganisation WHO die Staaten vor einem Eigentor im Kampf gegen das Coronavirus gewarnt. "Die Handelsentscheidungen der Staaten beeinflussen signifikant beides", appellierten die Chefs von WTO und WHO, Roberto Azevêdo und Tedros Ghebreyesus, "ob sie selbst medizinische Ausrüstung bekommen und ob sie dort verfügbar ist, wo sie dringend nötig ist". Zuvor hatte die amerikanische Handelskammer gewarnt, das Problem könne sich sogar multiplizieren, wenn Staaten auf Einschränkungen anderer Länder mit Gegeneinschränkungen reagieren.
"Nationale Exportrestriktionen machen uns nicht krisenfester", warnt auch BDI-Chef Dieter Kempf. "Sie verursachen Dominoeffekte anderswo mit dramatischen Folgen." Etwa dann, wenn eine Produktion stockt, weil ihr die Ausstattung mit Schutzausrüstung fehlt. "Gerade in der Krise zeigt sich, wie wichtig der Einsatz für einen offenen Welthandel ist", sagt Kempf. Längst ist die Industrie in Sorge, dass der Welthandel mit der Corona-Krise weiteren Schaden nimmt - zusätzlich zum wachsenden Protektionismus etwa in den USA. Um bis zu 32 Prozent könnte der Welthandel nach Schätzungen der WTO in diesem Jahr einbrechen, schlimmstenfalls.
Gefragt seien nun die führenden Industrie- und Schwellenländer der Staatengruppe G 20, fordert der BDI-Chef. Sie müssten rasch damit beginnen, die Beschränkungen wieder abzubauen. Europa, so Kempf, solle dabei "mit gutem Beispiel vorangehen".