Süddeutsche Zeitung

Bildung:Schulleitungen verzweifelt gesucht

Kitas, Schulen und Universitäten brauchen dringend ein besseres Management. Wissenschaftler fordern mehr Professionalität und eine höhere Bezahlung nach dem Vorbild der Wirtschaft.

Von Marc Beise

Schulen ächzen unter dem Corona-Stress. Es ist dort zwar das drängendste, aber nicht das einzige Problem. Schon vor der Pandemie lag in deutschen Bildungseinrichtungen einiges im Argen, was man namentlich an der Situation der Führungspositionen erkennen kann. Bundesweit sind rund 1000 Schulleiterstellen unbesetzt. Selbst in Bayern, wo offiziell nur 30 Leitungsstellen unbesetzt sind und die Lage deshalb besser wirkt, leiten in Wirklichkeit rund 500 Chefs von Grund- und Mittelschulen nicht nur ihre eigene, sondern zugleich noch eine zweite oder dritte Schule - weil sich dort niemand auf die Spitzenposition beworben hat.

"Wie extrem wichtig die Rolle der Schulleitungen ist, haben wir ja jetzt wieder in der Pandemie gesehen. Es hing von der Initiative und der Umsetzung der einzelnen Schulleitung ab, ob die Kinder geregelten Onlineunterricht hatten oder eben nicht", sagt beispielsweise Ludger Wößmann. Der Volkswirtschaftsprofessor in München und Leiter des Ifo-Zentrum für Bildungsökonomik ist Mitglied des Aktionsrats Bildung, ein Gremium anerkannter Bildungsforscher aus ganz Deutschland, das sich ein Jahr lang mit der Führungsmisere an deutschen Bildungsreinrichtungen von der Kita bis zur Universität beschäftigt hat.

An diesem Mittwoch stellt der Aktionsrat sein Jahresgutachten "Führung, Leitung, Governance: Verantwortung im Bildungssystem" in München vor, das der Süddeutschen Zeitung vorab vorliegt. Eine zentrale Forderung darin betrifft die Steigerung der Attraktivität von Führungspositionen. Das Gutachten empfiehlt, den Leitungskräften mehr Durchgriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, zum Beispiel indem sie ihren Mitarbeitern Leistungsprämien auszahlen können sollen. Darüber hinaus müsse die Arbeitsbelastung von Führungskräften im pädagogischen und vor allem auch im administrativen Bereich verringert werden. Ebenso zentral sei es, qualitätsgesicherte Aus- und Weiterbildungsprogramme für potenzielle Führungskräfte anzubieten. Eigentlich Dinge, die zumindest in gut geführten Unternehmen zum Repertoire der Personalentwicklung zählen.

In der Wirtschaft sei Führungskompetenz als Erfolgsfaktor längst eine feste Größe, sagt Wolfram Hatz, Familienunternehmer aus Ruhstorf und Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Der Spitzenverband hat den Bildungsrat vor 15 Jahren gegründet und unterstützt ihn bis heute. Die Diskrepanz zwischen Unternehmenswelt und Bildungssektor sei frappierend, sagt Hatz. Führungskräfte in deutschen Bildungseinrichtungen seien oft weder ausreichend qualifiziert, noch verfügten sie über wirksame Führungswerkzeuge. "Führung muss gelernt werden", weiß Hatz: "Geborene Führungstalente sind selten."

Die Defizite seien umso alarmierender, als die Bedeutung guter Führung für die Effektivität von Bildungseinrichtungen empirisch nachgewiesen ist: Gute Führung hat bessere Bildungsergebnisse zur Folge, so steht es im fast 300-seitigen Gutachten. Gute Bildung wiederum hat deutliche Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum und den Wohlstand einer Gesellschaft, was erklärt, warum die Wirtschaftsvertreter sich hier engagieren.

Bayern hat Nachholbedarf. Andere Bundesländer sind besser

Aber vertragen sich Rezepte der Marktwirtschaft mit dem Schulalltag? Der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg und Vorsitzender des Aktionsrats Bildung, hat da keine Berührungsängste. Die verbreitete Auffassung, dass Bildungseinrichtungen sich gewissermaßen selber leiten, wenn die Verantwortlichen nur pädagogisch sensibel agieren, sei falsch, sagt der Hochschulprofessor: "Richtig ist vielmehr, dass Kitas, Schulen, Universitäten und berufliche Bildungseinrichtungen, und die Weiterbildung, schon wegen ihrer gewachsenen juristischen, wirtschaftlichen und psychologischen Komplexität ein professionelles Management brauchen."

Für Bayern fordert die vbw auf Basis des Gutachtens eine flächendeckende Einführung von erweiterten Schulleitungsstrukturen in allen Schularten ab einer bestimmten Größe des Kollegiums. So sollten Führungsaufgaben in Schulen auf mehrere Personen verteilt werden. Und die Leitung in Kitas müsse professionalisiert werden. Tatsächlich haben in Bayern nur zehn Prozent der Kita-Leitungen einen einschlägigem Hochschulabschluss; in anderen Bundesländern sind das wesentlich mehr. Auch sind in Bayern nur rund ein Fünftel der Kita-Leitungen wirklich für Leitungsaufgaben freigestellt, in Hamburg etwa sind es 79 Prozent.

Darauf aber komme es an, sagt Ifo-Forscher Wößmann. Zumindest bei großen Schulen müsse es "eine hauptamtliche mittlere Führungsebene geben, die die Leitung von administrativen Aufgaben entlastet und es ihr ermöglicht, sich auf zentrale Führungsaufgaben etwa im Bereich der Schulentwicklung und des Personals zu konzentrieren".

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