Schuldner:Ohne Geldsegen geht nichts

Vor vier Jahren wurden die Regelungen zur Verbraucherinsolvenz gelockert. Doch für die meisten Schuldner hat sich dadurch wenig verändert. Sie können die Erleichterungen nicht nutzen.

Von Felicitas Wilke

Dem Mann aus dem Ruhrgebiet half eine glückliche Fügung. Er hatte gut 26 000 Euro Schulden. 35 Prozent davon in drei Jahren abzustottern - plus Gerichts- und Insolvenzverwalterkosten? Das wäre nicht gegangen, trotz großer Mühen nicht. Dann versäumte der größte Gläubiger, eine Bank, seine Forderung rechtzeitig beim Gericht anzumelden. Plötzlich sank die Schuldenlast um 10 000 Euro. So gelang es dem Mann, bereits nach drei Jahren von seiner Restschuld befreit zu werden.

Etwas mehr als 72 000 Verbraucher haben im vergangenen Jahr Privatinsolvenz angemeldet, weil sie sich nicht imstande sahen, ihre Schulden allein zu tilgen. Seit 2014 haben sie die Möglichkeit, bereits nach drei statt vormals nach sechs Jahren in ein schuldenfreies Leben zu starten. Dafür müssen die Betroffenen in dieser Zeit mindestens 35 Prozent ihrer offenen Forderungen beglichen und die Kosten für das Gerichtsverfahren und den Insolvenzverwalter übernommen haben. Erst dann werden ihnen die restlichen Schulden erlassen und sie können wieder ohne größere Probleme am Geschäftsleben teilnehmen: zum Beispiel eine Wohnung anmieten oder einen Handyvertrag abschließen.

Doch die Hürden, die der Gesetzgeber eingebaut hat, sind für die meisten Schuldner zu hoch. Das zeigen Zahlen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die 3500 Fälle in ihren Schuldnerberatungsstellen ausgewertet hat. Weniger als ein Prozent der überschuldeten Menschen erfüllt demnach die Voraussetzungen. Die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel, die Daten der Amtsgerichte auswertete, kommt auf knapp acht Prozent. Der Unterschied lasse sich auch dadurch erklären, dass die Schuldnerberatungsstellen der Verbraucherzentrale keine selbständigen Schuldner betreuen, sagt Christoph Zerhusen, Rechtsanwalt bei der Verbraucherzentrale NRW. "Aber beide Zahlen liegen unter den 15 Prozent, die der Gesetzgeber erwartet hatte." Zerhusen sieht darin eine verpasste Möglichkeit. "Es ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll, den Menschen, die aus der Bahn geworfen wurden, eine reelle zweite Chance zu geben", sagt er.

Um später von der Restschuld befreit werden zu können, müssen die Schuldner während der sogenannten Wohlverhaltensperiode so viel wie möglich abstottern. Damit das gelingt, wird der pfändbare Teil ihres Gehalts, der über das Existenzminimum hinausgeht, direkt an einen Treuhänder abgeführt. So war es auch bei einem Mann aus Köln, der seine Schulden nicht mehr begleichen konnte und bei der Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale Rat gesucht hatte. Er ging in die Privatinsolvenz, war aber berufstätig und sparte innerhalb von drei Jahren knapp 7000 Euro pfändbares Einkommen an - fast 70 Prozent seiner Verbindlichkeiten.

Mit der Restschuldbefreiung nach drei Jahren klappte es trotzdem nicht. Denn neben den Gerichtskosten fällt vor allem die gesetzlich festgelegte Vergütung für den Insolvenzverwalter bei Verbraucherinsolvenzen schwer ins Gewicht. Weil der Schuldner aus Köln allein mehr als 4000 Euro an den Insolvenzverwalter zahlen musste, betrug seine Quote für die Gläubiger plötzlich nicht mehr knapp 70, sondern nur noch 16 Prozent - und die Restschuldbefreiung nach drei Jahren war vom Tisch. Es sei zum "Durchdrehen", schrieb der Mann an seinen Insolvenzverwalter.

Die Bundesregierung will die Regelung bald überprüfen

Spricht man mit Schuldnerberatern aus verschiedenen Ecken der Republik, dann sagen sie: Die Quote von 35 Prozent erreichen eigentlich nur Menschen, die ein plötzlicher Geldsegen ereilt hat: ein unvorhergesehenes Erbe, ein Lottogewinn - oder eben ein Gläubiger, der verschläft, seine Ansprüche geltend zu machen, so wie bei dem Mann aus dem Ruhrgebiet. Bei der Verbraucherzentrale NRW, aber auch bei anderen Schuldnerberatungen, wünscht man sich daher, dass der Gesetzgeber noch mal an den Regelungen schraubt. Dass die Menschen bereits nach drei Jahren von ihren restlichen Schulden befreit werden, unabhängig davon, welche Quoten sie erfüllen. Oder dass die stufenweise Restschuldbefreiung gelockert wird - auf drei Jahre für jene, die 35 Prozent erreichen und auf vier Jahre für alle, die nur für die Gerichtskosten aufkommen können.

Ob man drei, fünf oder sechs Jahre mit den Verbindlichkeiten leben muss, das mache einen großen Unterschied, sagt Sylvia Pinsl von der Schuldnerberatung H-Team in München. "Es entlastet die Betroffenen psychisch enorm, früher von ihren restlichen Schulden befreit zu werden." Sie weiß, dass schon ein Jahr einen Unterschied machen kann, obwohl bei ihr in der Beratung derzeit kein Klient die Kriterien für die Restschuldbefreiung nach drei Jahren erfüllt. Deutlich mehr Menschen profitieren von einer anderen Regelung: Wer zumindest für die Verfahrenskosten aufkommen kann, hat die Insolvenz nach fünf statt sechs Jahren hinter sich.

Der Gesetzgeber änderte die Regeln auch deshalb, um Schuldner zu motivieren, viele Verbindlichkeiten zu begleichen. Die Deutsche Kreditwirtschaft als Interessensvertretung der Banken und Sparkassen erklärt, dass sie dieses Ziel weiterhin unterstütze. Als häufige Gläubiger haben die Kreditinstitute Anlass zur Sorge, dass dieser Anreiz verloren gehen könnte, würden die Regeln weiter gelockert.

"Ich sehe diese Bedenken", sagt Verbraucherschützer Zerhusen. Allerdings gebe es bereits Sperrfristen, die teilweise unterbinden, dass Privatpersonen von einer Insolvenz in die nächste schlittern können. Im Interesse der Menschen sei es ohnehin nicht, zum wiederholten Male in die Insolvenz zu gehen. Ob sich am bisherigen Prozedere etwas ändert, wird sich noch im Lauf des Jahres zeigen. In den kommenden Wochen will das Bundeskabinett die Regelungen evaluieren.

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