Schuldenkrise:Wie es um Griechenlands Wirtschaft steht
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Den Banken droht der Kollaps, noch immer gibt es kaum Wachstum, ein Viertel der Griechen hat keinen Job. Warum das so ist - und wie es weitergeht.
Fragen und Antworten von Pia Ratzesberger und Katharina Brunner
Warum tut sich Griechenland mit dem Wachstum so schwer?
Damit eine Wirtschaft wachsen kann, muss das, was produziert wird, auch gekauft werden. Doch der private Konsum in Griechenland ist stark zurückgegangen - die Leute haben kein Geld mehr, das sie ausgeben können. Ihre Löhne wurden drastisch gekürzt oder sie sind ganz ohne Arbeit, auch der Staat hat seine Ausgaben zurückgefahren. Theoretisch könnte dieser Rückgang durch Nachfrage aus dem Ausland aufgefangen werden. Zum Beispiel, wenn mehr Touristen ins Land kämen. Doch das funktioniert nicht, denn auch die Zahl der Touristen ist in Griechenland zurückgegangen.
Theocharis Grigoriadis, der in Athen studiert hat und mittlerweile als Professor für Volkswirtschaftslehre am Osteuropa-Insitut der Freien Universität Berlin tätig ist, führt die Wachstumsprobleme auch auf das Fehlen einer starken Industrie zurück: "Wie kann man Wachstum generieren, wenn alle Firmen schließen?" Und neue Unternehmen entstehen kaum: In Griechenland gibt es keine starke Gründerszene - Firmengründungen gelten als schwierig.
Obwohl der griechische Staat so viel spart, ist der öffentliche Schuldenstand in den vergangenen Jahren angestiegen. 2014 lag der Schuldenstand bei 177 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Dass der Schuldenstand immer im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung angegeben wird, liefert bereits eine erste Erklärung, warum die Schulden immer weiter wachsen: Wenn die Wirtschaftsleistung sinkt, werden die Schulden im Verhältnis größer. Hätte es 2012 keinen Schuldenschnitt gegeben, lägen die Zahlen freilich noch viel höher als heute. Nikolay Hristov vom Ifo-Institut etwa schätzt: "Dann wären wir heute bei einem Schuldenstand von 190 Prozent des BIP."
Wann nimmt Griechenland mehr ein als es ausgibt?
Vielleicht schon dieses Jahr. Die griechische Regierung hat bekannt gegeben, dass sie für 2015 einen Überschuss erwartet. Um 0,8 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung sollen die Einnahmen höher sein als die Ausgaben. Nicht berücksichtigt sind dabei jedoch finanzielle Verpflichtungen, die sich aus Schulden ergeben. Darum: Den sogenannten Primärüberschuss im Haushalt wird Griechenland dafür nutzen, Zinsen zu zahlen oder Schulden zu tilgen.
Dieser Primärüberschuss ist ein zentraler Streitpunkt beim Streit zwischen Griechenland und den Geldgebern: Die Kreditgeber verlangen für die Auszahlung der restlichen Gelder aus dem Rettungspaket einen höheren Haushaltsüberschuss als die griechische Regierung erreichen will. Zuletzt konnten sich EU-Kommission, IWF und EZB mit Ministerpräsident Tsipras jedoch einigen: Der Primärüberschuss solle im laufenden Jahr ein Prozent der Wirtschaftsleistung betragen und im kommenden Jahr zwei Prozent. Die griechische Regierung kann damit leben. Panos Skourletis, Minister für Arbeit und Soziales, sagte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung: "Das ist eine mildere Form des Sparens, nicht mehr die gewalttätige, extreme Austerität."
Der Primärüberschuss wird genau wie der Schuldenstand immer im Verhältnis zum BIP angegeben und kann deshalb aus zwei Gründen steigen: Weil die Staatseinnahmen steigen - oder die Wirtschaft schrumpft. Wenn die Wirtschaft schrumpft, sinken wahrscheinlich aber auch die Einnahmen. Zum Beispiel, weil Unternehmen weniger Steuern zahlen.
Tatsächlich hatte Griechenland 2013 im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung die höchsten Pensionsausgaben. 16,5 Prozent des BIP gingen für Renten und Pensionen drauf, heißt es in einem Bericht der EU-Kommission. Nur Italien kommt innnerhalb der EU noch auf einen ähnlich hohen Wert.
Damit gibt es aus Sicht der Kreditgeber Einsparpotenzial, auch wenn die Renten in Griechenland seit Beginn der Krise schon achtmal gekürzt wurden. Die Regierung unter der Führung der linken Syriza-Partei lehnte eine neunte Runde ab - bis jetzt. Auf dem Endspurt der Verhandlungen scheint Griechenland nachzugeben. Die neuen Ideen für einen Kompromiss aus Athen: Frühpensionierung abschaffen, Eintrittsalter erhöhen, Ausnahmeregeln streichen. Das Renteneintrittsalter soll dem Vorschlag zufolge schrittweise auf 67 Jahre erhöht werden. Derzeit gehen in Griechenland Männer im Durchschnitt mit 63 Jahren in Rente, Frauen mit 59 Jahren.
Die Lösung ist also: Renten kürzen?
Der Staat hat die Sozialzahlungen pro Kopf in den vergangenen Jahren zwar stark gekürzt, doch das Problem lag auch schon vor der Krise nicht allein auf der Ausgaben-, sondern vor allem auch auf der Einnahmenseite: "Die griechischen Staatsausgaben waren gemessen am BIP im europäischen Vergleich immer relativ durchschnittlich", sagt Arne Heise, Professor für Sozialökonomie an der Universität Hamburg. Griechenlands Steuersystem hat es dagegen nie geschafft, genügend Steuern von den Bürgern ranzuschaffen - und jetzt ist bei vielen gar kein Einkommen mehr da, das besteuert werden könnte. Die Geldgeber wollen deshalb nur dann weitere Finanzmittel freigeben, wenn Griechenland nicht nur die Ausgaben im Rentensystem kürzt und einen einen Haushalt mit einem Mindest-Primärüberschuss vorweisen kann, sondern auch höhere Mehrwertsteuern beschließt.
Sechs Milliarden Euro sollen in der vergangenen Woche von Konten bei griechischen Banken geräumt worden sein - aus Angst vor einer Banken- oder Staatspleite. Was mit dem Geld passiert? Es liegt wahrscheinlich zu Hause oder wird ins Ausland transferiert.
Damit die Banken diese Geldabflüsse verkraften können und weiterhin Scheine aus dem Geldautomaten kommen, müssen sie zahlungsfähig bleiben. Um das zu garantieren, greift die Europäische Zentralbank (EZB) ein und vergibt Notkredite an die griechische Zentralbank. Gegen Sicherheiten gibt die Notenbank in Athen die Kredite an die Banken weiter. Die EZB hat inzwischen knapp 90 Milliarden Euro als sogenannte ELA-Notkredite ("Emergency Liquidity Assistance") über diesen Kanal nach Griechenland transferiert. In der Regel erhöht die EZB den Kreditrahmen wöchentlich in ihrer Ratssitzung, in den vergangenen Tagen griff die EZB auch in kürzeren Abständen ein.
Firmen und Haushalte werden nur aufhören, Geld abzuheben, wenn sie dem Bankensystem wieder vertrauen. Dafür notwendig ist mindestens ein Kompromiss zwischen Griechenland und den Geldgebern. Gibt es keine Einigung, dürften wohl Kapitalverkehrskontrollen folgen. Sie sind Teil eines Notfallplans der Euro-Länder: Tägliche Abhebungen an Geldautomaten und der elektronische Zahlungsverkehr im Inland würden dann eingeschränkt, Überweisungen ins Ausland ganz gesperrt.
Die Perspektivlosigkeit der griechischen Jugend ist eines der drängendsten Probleme des Landes. Kein Job bedeutet kein Geld - kein Geld bedeutet keine Zukunft. Mehr als jeder zweite junge Grieche, der eine Arbeit sucht, findet keine. Bei den unter 25-Jährigen lag die Arbeitslosigkeit im Jahr 2014 bei mehr als 50 Prozent. Das liegt unter anderem daran, dass ein wichtiger Arbeitgeber weggefallen ist: der Staat. Früher waren Behörden für Jobsuchende eine gute Adresse, sie lockten mit hohen Gehältern und festen Verträgen. Doch jetzt muss der Staat sparen - und der Staatsapparat schrumpft. Gab es 2009 noch 900 000 griechische Staatsdiener, sind es heute nur noch 650 000.
Einer Studie der KfW-Bank zufolge spielt außerdem die Kluft zwischen den Generationen eine Rolle: Ältere Griechen haben noch gut bezahlte Jobs, Verträge aus Zeiten vor der Krise mit einem starken Kündigungsschutz. Die Jungen dagegen bekommen, wenn überhaupt, nur befristete Stellen, deren Verträge im Zweifelsfall schnell wieder auflösbar sind. Sie verlieren als Erste ihren Arbeitsplatz, wenn es darauf ankommt - ein Generationenkonflikt. Vor allem Hochqualifizierte gehen deshalb ins Ausland. Sie hoffen dort auf die Perspektive, die sie zu Hause nicht mehr sehen.
Wird es bald weniger Arbeitslose geben?
Zwar sind junge Leute besonders betroffen, doch auch über alle Altersklassen hinweg betrachtet ist die Arbeitslosenquote mit etwa 27 Prozent ziemlich hoch. Der OECD zufolge wird sich das in nächster Zeit nicht bedeutend ändern. Zwar nimmt das Risiko ohne Arbeit zu sein, etwas ab, doch auch 2015 waren immer noch ein Viertel der Erbwerbsfähigen ohne Job.
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